Samstag, 30. Oktober 2021

Sinuston-Festival: Sound Diffusion

Das Switch~ Ensemble mit seiner kammermusikalischen Besetzung führte Werke der Neuen Musik auf. Den vorwiegend akustischen Klänge konventioneller Konzertinstrumente gaben sie mit Video- und Toneinspielungen eine ungewohnte Umgebung.

Zach Sheets – Flöten
Rocio Bolaños – Klarinetten
Lauren Cauley – Violine
T. J. Borden – Violincello
Ami Garapic – Schlagzeug
Wei-Han Wu – Klavier
Jason Thorpe Buchanan – Leitung, Elektronik

Am Sonnabend wechselte das Sinsuton-Festival in den Magdeburger Moritzhof, in die große Konzertscheune. Dort gab es genügend Platz für das Ensemble und ein großes Setting an Elektronik und Videotechnik. Diese kam auch gleich beim ersten Stück, Smart Alienation von Igor C. Silva zum Einsatz. Mit einer Warnung vorab: es werde sehr Laut und es gebe schnelle Lichtwechsel. Die Lautstärke war dann aber unproblematisch, und die Lichtwechsel erwiesen sich als tatsächlich schnelle Einblendungen von Texten oder Screenshots. Zum Staccato von Tönen flackerten die Screens in harten Schwarzweiß-Kontrasten und teils nur für Sekundenbruchteile auf. Dem Ensemble kam die Aufgabe zu, damit in Dialog zu treten, in Interaktion mit der Elektronik kreativ etwas neues zu schaffen. Ein durchaus interessantes Stück, das mit seiner scheinbaren Unbestimmtheit aber sehr viel Kraft ausstrahlte. 

Mit Unbestimmtheit hatte auch das zweite Stück des Abends zu tun, hanau ka ua (hawaianisch für "geboren ist der Regen"). Ensembleleiter Jason Thorpe Buchanan erklärte vorab etwas zum Hintergrund, es ging um die Rolle der Sprache in der Kultur, um die Feinheit der Sprache bei Dingen, die für ein Volk von großer Bedeutung sind, aber auch um die Lebendigkeit einer Sprache. So gibt es auf Hawaii viele Worte für Regen, abhängig von der Tageszeit, der Intensität, der Farbe und dem Klang. Kleiner Exkurs: Hanns Eisler kannte so etwas übrigens auch – und komponierte (als Filmmusik) "14 Arten den Regen zu beschreiben". Das Ensemble estzte das in akustische Entsprechungen um, Leiser Landregen war zu hören, Vogelstimmen, zu den anfänglichen Percussion-Klängen lam unmerklich das Cello hinzu, dann die Querflöte mit Windgeräuschen, das Piano und die gezupfte Violine. Über Minuten hinweg waren nur Klänge von leise raschelnden Muschelschalen und den bewegten Klappen der Bassklarinette zu hören. Das Stück hatte eine konzentrierte Ruhe und Langsamkeit, die zu der kaum auszuhaltenden Spannung führte, ob da jetzt noch etwas folge – ein Gewitter, oder irgendetwas. (Um es vorwegzunehmen: nein, es war dann irgendwann Schluss, was irgendwie auch schade war.)

Im von Jason Thorpe Buchanan komponierten Stück über Texte von Pablo Neruda treffen metallische Klänge auf die warmen Töne der Bläser und Streicher, wispernde Stimmen tönen geheimnisvoll. Klänge und Geräusche scheinen von einem geheimnis erzählen zu wollen – ohne es letztlich preiszugeben. 

Bei einem weiteren Stück (Up Close) teilen sich die Musiker auf Bühne und Saal auf. Während Der Pianist und die Perkussionistin auf der Bühne bleiben, nehmen die anderen Musiker auf vier im Saal verteilten Podien Platz, es gibt damit einen auf natürliche Weise erzeugten Quadro-Sound. Hätte es nicht die Konzertatmosphäre gestört, dann hätte ich gern unterschiedliche Positionen im Raum eingenommen – denn vermutlich wäre der Höreindruck an jeder Stelle ein anderer gewesen. Im ansonsten völlig abgedunkelten Saal wurden die die Musiker scheinbar über Lichtsignale gesteuert – bei wem es leuchtete, der begann zu spielen. Zwischen den Musikern ergab sich so ein relativ lockerer  Zusammenhang, den die Zuhörer gedanklich verbinden mussten. 

Das Switch~ Ensemble bewegte sich mit seiner Musik – die zum Teil speziell für das Ensemble komponiert war – an den Grenzen von konventioneller Musik, überschritt diese zuweilen auch. Die Konzertbesucher mussten sich auf viel Experimentelles einstellen, bekamen dafür aber auch Musikerlebnisse, die es wohl nur live geben kann. 


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