Freitag, 22. November 2019

Orgel und Improvisation

Musik für Orgel, Saxophon, Cello und Gesang gab es heute innerhalb des Tonkünstlerfestes des Tonkünstlerverbandes Sachsen-Anhalt in der Magdeburger St.-Sebastians-Kirche.
Matthias Mück – Orgel
Warnfried Altmann – Saxophon
Wilfried Staufenbiel – Cello, Gesang

Matthias Mück, der sonst hoch oben an seiner Orgel sitzt und dem Publikum verborgen bleibt, steht vor Beginn des Konzertes vorn am Mikrophon und spricht über die Musik des Abends. Zunächst ist es dem Kathedralmusiker von St. Sebastian eine Freude darauf hinzuweisen, dass das Konzert ausgerecht am Tag der heiligen Cecilia stattfindet, der Heiligen der Kirchenmusik. Und er spricht über den Tonkünstlerverband Sachsen-Anhalt, der tatsächlich schon 170 Jahre besteht. Über das, was gleich im Konzert entstehen wird, sagt der Kirchenmusiker Mück: "Für uns ist das Konzert Improvisation, nichts ist wiederholbar".

Zu Beginn des Konzertes sitzt nur Wilfried Staufenbiel vorn, vor dem Altar, und stimmt sein Cello in der Stille der Kirche. Schon das klingt wie Musik. Zuerst steht "Befiehl Du Deine Wege" im Programm. Matthias Mück beginnt mit warmen Orgeltönen, die noch gar nicht die Melodie erkennen lassen, ehe Warnfried Altmann mit seinem Saxophon hinzukommt, weit hinten in der Kirche, auf der Orgelempore stehend, und den alten Choral erklingen lässt. Wilfried Staufenbiel singt vom Altar her den Text, singt ihn mit tiefer Ergebenheit, so als ob er nur für sich singt und doch füllt seine Stimme das Kirchenschiff. Das anschließende "Mandala" ist ein Stück für Cello und Saxophon, auch hier setzt Staufenbiel seinen Gesang ein, Altmann antwortet mit dem Saxophon, bläst lange anhaltende Töne in die Kirche. 

Samstag, 16. November 2019

Simkhat Hanefesh – jüdische Barockmusik

Barockmusik "zur Freude der Seele" gab es heute bei den Tagen der jüdischen Kultur und Geschichte im Magdeburger Gesellschaftshaus. Denn mit "zur Freude der Seele" lässt sich der Name des Barockorchesters simkhat hanefesh übersetzen, das die Judaistik-Wissenschaftlerin Diana Matut gründete, um "die trockenen musikwissenschaftlichen und historischen Erkenntnisse in lebendige Musik umzusetzen". Ihr Programm hatten sie mit "Eine Reise durch Aschkenas. Die Fahrten des Abraham Levie" umschrieben. Zugrunde lag die überlieferte Reisebeschreibung des jungen Abraham Levie aus Lemgo, der sich im Jahr 1719 auf eine Reise begab, die ihn mehrere Jahre durch die deutschsprachigen Länder bis nach Italien und Elba führen sollte. Seine Reiseerinnerungen, in Amsterdam verfasst, sind in Manuskriptform erhalten geblieben. Zur Veranschaulichung der Reiseroute dienten mittels Beamer an die Leinwand projizierte Zeitdokumente, alte Stiche und Karten (in welche dann auch die Route eingezeichnet war). In Zusammenhang mit der Musik der Zeit zwischen 1500 und 1800 und Erläuterungen von Diana Matut ergab sich eine interessante Mischung aus Konzert, historischen Erläuterungen und Lichtbildervortrag. Ein kurzweiliger Abend.
Diana Matut – Gesang, Flöten, Nyckelharpa
Nora Thiele – Perkussion, Glocken, Colascione
James Hewitt – Barockvioline
Erik Warkenthin – Laute, Theorbe, Barockgitarre
Dietrich Haböck – Viola da Gamba

Norbert Pohlmann vom Forum Gestaltung eröffnete als Initiator der Tage der jüdischen Kultur und Geschichte den Abend. "Ich bin froh, dass wir mit Simkhat Hanefesh eine wirklich außergewöhnliche Musikfarbe im Programm anbieten können", sagte er zur Ankündigung der Barock-Band. Zum Hintergrund der nun schon im 12. Jahr stattfindenden Kulturreihe sagte er "Eines hat sich nicht geändert: die Intention, gemeinsam diese Kultur zu erleben. Und dazu braucht es auch die Gemeinsamkeit des Erlebens". Und ganz wichtig war ihm angesichts der jüngsten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen: "Wir müssen aufpassen, dass sich die Demokratie nicht mit demokratischen Mitteln abschafft".

Das Programm des Abends führte dann aber tatsächlich in die Musik und in das Empfinden des Barock zurück, also eine ganz andere Zeit und Musik als das, was einem landläufig als erstes einfällt, wenn von jüdischer Musik die Rede ist – aber Klezmer war eben viel später. Eine festliche Bourrée eröffnete das Konzert, Musik, die die Musiker auf historischen Instrumenten spielen: Schlüsselfiedel (besser aus dem schwedischen als Nyckelharpa bekannt), Barockvioline, Theorben riesigen Ausmaßes, Gambe, Barockgitarre, Trommeln und Glockenspiel gaben auch akustisch einen nahe am Original liegenden Eindruck der Barockmusik. Dass Stücke jüdischer Komponisten gespielt wurden, war von der Musik her eher von untergeordneter Bedeutung, denn die festliche jüdische Musik jener Zeit (in dem Fall: Musik zur Beschneidungszeremonie) unterschied sich kaum von der italienischer oder deutscher Komponisten.

Mittwoch, 6. November 2019

Christiane Hagedorn: Tanz auf dem Vulkan

Musik der wilden 20er Jahre: Innerhalb der Magdeburger Tage der jüdischen Kultur und Geschichte gastierte Christiane Hagedorn mit ihrem Trio im Forum Gestaltung.
Christiane Hagedorn – Gesang, Violine
Martin Scholz – Piano, Kornett
Dieter Kuhlmann – Bass, Posaune, Saxophon

Im engen schwarzen Kleid steht Christiane Hagedorn auf der Bühne, singt mit ausdrucksstarker Stimme Lieder der 1920 und frühen 1930er Jahre. Lieder aus der Zeit der Weimarer Republik, als nach dem ersten Weltkrieg alles voller Bewegung war, voller Veränderung, voller Aufbruch. Es war die große Zeit der Varieteebühnen, auf denen frische und freche Musik gespielt wurde. Etwa wenn die Comedian Harmonists (und hier nun Christiane Hagedorn) ihre Lieder vom Kleinen Grünen Kaktus oder vom kleinen Herrn Meier am Himalaja sangen und Kurt Gerron das von Friedrich Holländer komponierte Nachtgespenst schweben ließ.

Donnerstag, 31. Oktober 2019

Wenzel und Band: Lebensreise

Musik zum Mitsingen und Mittanzen, manchmal auch nur zum einfach zuhören. Von alledem gab es etwas, als Hans-Eckardt Wenzel heute zusammen mit seiner Band in der Feuerwache auftrat, mit dem Programm seiner neuen CD "Lebensreise".
Hans-Eckardt Wenzel – p, g, acc, voc
Thommy Krawallo – b, g
Hannes Scheffler – b, g
Manual Agosthino Peireira – trp
Stefan Dohanetz – dr, perc
Wenzel (von links), Thommy Krawallo,
Hannes Scheffler und Stefan Dohanetz

Die neue CD wird, wie Wenzel sagte, eine Live-CD sein (ein Mitschnitt seines Konzertes am 22. Juni 2019 in Kamp auf 2 CDs). Ich freue mich schon drauf, denn live ist die Musik am besten, vor allem, weil auf den live-CDs auch Wenzels Texte zwischen den Liedern enthalten sind. Die CD war nur leider noch nicht fertig (denn "normalerweise" – das heißt eigentlich immer – bringt er die jeweils neue CD schon fertig gepresst mit nach Magdeburg, wenn er wie in den letzten Jahren Anfang November zu Beginn seiner Tour dort auftritt). Das mit der CD war zu verschmerzen, denn es gab ja lediglich nichts zum mit nach Hause nehmen (und gleich auf der Heimfahrt hören).

Am Beginn seines Konzertes singt Wenzel an gegen den allgegenwärtigen Konsum, gegen das alles sich kaufen können (Nimm Dein Glas und wirf es an die Wand / hier in diesem aufgeblasnen Land / ... / sing den Trotz Dir aus der Kehle/ gib Dich nicht geschlagen/ kotze Dir nicht Deine Seele / Deine Seele aus dem Magen). Lieder voller Poesie (komm zu mir und mach mich wach / halt Dich fest an mir und trink mich leer), denen man endlos lauschen möchte, gibt es ebenso wie Lieder, die vom Publikum laut mitgesungen werden. Tschingeling war so eines, aus Wenzels Woody-Guthrie-CD. Oder auch "Die Länder der Erde gehören keinem alleine, die Erde ist da für Dich und mich", wie Wenzels deutsche Fassung von Guthries "This Land is Your Land" beginnt. Den Anfang singt er, bevor die Band kräftig einsetzt, ganz leise zur Gitarre. Und das Publikum, textsicher, singt deutlich vernehmbar mit. "Diese Zeit jetzt, diese Wahlen – da muss man durchhalten", sagt er den Konzertbesuchern. "Dafür sind wir hier, und dafür seid Ihr hier". Dass wir "nicht mittun bei der großen Schweinerei", wie es in einem weiteren Lied heißt.

Benschu und Flemming: Libertango

Saxophon und Harfe, eine wohl sehr seltene Instrumenten-Kombination, gab es heute in Glinde zu hören. Ralf Benschu war zum "wer-weiß-wievielten" Mal (wie oft genau, wusste keiner zu sagen) am Reformationstag in der St.-Matthäi-Kirche des kleinen Elbedorfes zu Gast.
Ralf Benschu – Saxophon
Jessyca Flemming – Harfe

Pfarrer Björn Teichert begrüßte Musiker und Gäste und sagte dazu "ich bin nun schon neun Jahre hier und bin immer wieder gespannt darauf, welche Musiker und welche Musik Ralf Benschu zu diesem Konzert mitbringt". Diesmal kam er gemeinsam mit der Berliner Harfenistin Jessyca Flemming. Damit treffen zwei Instrumente aufeinander, die man eher unterschiedlichen Musikrichtungen zuordnet: das Saxophon der Unterhaltungs- und die Harfe der klassischen Musik. So ist die Zusammenarbeit der beiden Musiker immer auch ein Stück weit ein (gelungenes!) Experiment, ein Ausloten der Möglichkeiten, ein Neu-Arrangieren von Kompositionen. Auf dem Programm standen überwiegend Werke neuere Komponisten.

Sonntag, 27. Oktober 2019

Die unendliche Feinheit des Raumes – Abschlusskonzert des Sinuston-Festivals

Oliver Schneller setzt sich in seinem "Theatrum sonorum", wie er seine Komposition "Die unendliche Feinheit des Raumes" im Untertitel nennt, in seinem Klangtheater für Orchester, Orgel und acht Lautsprecher, mit dem Inhalt von Otto von Guerickes "Experimenta nova" auseinander, mit Guerickes Beschreibung der Welt und seiner Experimente mit dem leeren Raum.
Oliver Schneller – Komposition
Franz Danksagmüller – Orgel
Mendelssohn Kammerorchester Leipzig
Manuel Nawri – Dirigent
Henrik von Coler – Klangregie
Das Mendelssohn Kammerorchester Leipzig spielt in
der Konzerthalle "Georg Philipp Telemann" im
Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg

Die Sätze von "Die unendliche Feinheit des Raumes" lehnen sich an die Kapitel aus Guerickes auf Latein verfasssten Buch (originale Kapitelbezeichnungen in Klammern) an, das insgesamt ein Abriss der kosmischen Physik der Zeit Otto von Guerickes ist:
I. Die Welt und ihr Bau (De Mundo ejusque Systemate)
II. Der leere Raum (De Spatio Vacuo)
III. Eigene Versuche (De Propriis Experimentis)
IV. Kosmische Kräfte (De Virtutibus Mundanis & aliis rebus independentibus)
V. Erde und Mond (De Terraqueo globo ejusque Socia quae vocatur Luna)
VI. Unser Sonnensystem (De Systemate Mundi nostri Planetario)
VII. Die Fixsternwelt und ihre Grenzen (De Stellis Fixis & Eo quod finit Eas)

Oliver Schneller hat sein siebensätziges Werk ebenso aufgebaut wie Guerickes Beschreibung des Kosmos und der planetaren Welt. Er berücksichtigt die Vorstellungen des Denkens Guerickes, der aus seinen Untersuchungen von Wechselwirkungen der Kräfte Rückschlüsse auf kosmische Zusammenhänge zog.

Donnerstag, 24. Oktober 2019

Eröffnungskonzert des Sinuston-Festivals

Elektronik und kräftige Beats gehörten zu den Schwerpunkten des Eröffnungskonzertes des Sinuston-Festivals, das nun schon zum 10. Mal in Magdeburg stattfindet.


Carsten Geerth, der den Abend im Forum Gestaltung eröffnete, freute sich sichtlich über das runde Jubiläum des Festivals, zu dessen Eröffnungskonzert er „als Reverenz an unsere Stadt Musiker aus Magdeburg und der Region eingeladen“ hatte.

Carsten Geerth (links) eröffnete das Festival. Neben
ihm: Oliver Schneller, der das Festival vor zehn Jahren
gründete und Mikro Lange, der langjährige
Tontechniker des Festivals

Den Auftakt machte Mathias Markgraf, besser bekannt unter seinem Pseudonym Prypjat Syndrome. In Magdeburg ist er oft an unterschiedlichen Stellen zu erleben, auch als Straßenmusiker, wenn er sich mit seinem schwarzen Cello und seinem Elektronikkoffer zum Beispiel vor den Bahnhof oder auf die Sternbrücke setzt und spielt.

Sonntag, 20. Oktober 2019

Die Genialität des Augenblicks

Der Film "Die Genialität des Augenblicks" über Günter Rössler erinnert an das Schaffen des Fotografen , der den meisten (Ost)Deutschen durch seine Aktfotos im Magazin bekannt ist. Heute nachmittag lief der Film im Studiokino Magdeburg.


Einige seiner Fotomodelle kommen im Film zu Wort, berichten über Rössler und seine Art zu fotografieren, über die Vertrautheit als wesentliche Voraussetzung der entstehenden Fotos, über die Rolle der Fotos für sie persönlich. Aber auch Aufnahmeorte und -bedingungen aus der Zeit vor 1990 wurden sichtbar, befreundete Künstler kamen zu Wort. Der Mensch hinter den Fotografien, oder besser: der Mensch hinter der Kamera, wurde sichtbar.

Donnerstag, 17. Oktober 2019

Kinderporträts von Elisabeth Heinemann, Lieder und Gedichte von Pia Monika Nittke

Gedichte und Lieder für Kinder begleiteten die Eröffnung der aktuellen Ausstellung der Magdeburger Fotografin Elisabeth Heinemann im Magdeburger Konservatorium.


Für Helga Kleiner, die durch das Programm der Vernissage führt, sind sowohl Elisabeth Heinemann als auch Pia-Monika Nittke und Lothar Henning bekannte Größen in der Magdeburger Kunstszene. "Eigentlich brauche ich sie gar nicht vorstellen", sagt sie, dann gibt es selbstverständlich einige Hinweise auf das Leben der Künstler. "Die drei habe ich zum ersten Mal bei meiner Arbeit für UNICEF kennengelernt", sagt Helga Kleiner, "und seitdem gibt es immer wieder Berührungspunkte". Einer davon ist sicher Elisabeth Heinemanns Porträtserie von Flüchtlingskindern, aus der auch einige in der Ausstellung zu sehen sind.

Porträts von Kindern haben für Elisabeth Heinemann eine besondere Bedeutung: "Sie drücken in ihren Gesichtern unverstellt ihr Empfindungen aus, Fröhlichkeit, Erstaunen, aber auch Traurigkeit und Ernst, so wie in meiner Fotoserie mit Porträts von Flüchtlingskindern", sagt sie dem Publikum. "Vor Kindern liegt noch ein langer weiter Weg – ich versuche mit meinen Bildern, einen kleinen Ausschnitt davon zu zeigen". Und wer die großformatigen Schwarzweiß-Fotos genau betrachtet, der kann sich hinter vielen Fotos kleine Geschichten vorstellen. Einige Porträts zeigen ihren Enkel, andere Kinder von rumänischen Familien, die sie rund um den Moritzplatz traf. "Ich war begeistert davon, wie fröhlich sie gespielt haben".

Donnerstag, 10. Oktober 2019

Ausstellung Günter Rössler

Aktfotos von Günter Rössler, einem der großen Aktfotografen der DDR, sind seit heute und noch bis zum 1. November in der Stadtsparkasse Magdeburg am Alten Markt zu sehen. Die Ausstellung findet innerhalb der Filmkunsttage Magdeburg statt.


Zur Eröffnung der Ausstellung erläuterte Mathias Geraldy, Pressesprecher der Magdeburger Sparkasse, das Zustandekommen der Ausstellung, die sie jedes Jahr mit wechselnden Themen zu den Filmkunsttagen in ihrer Filiale am Alten Markt haben. Dass es in diesem Jahr Bilder von Günter Rössler sind, hängt unter anderem damit zusammen, dass innerhalb des Festivals ein Film über den bekanntesten Aktfotografen der DDR läuft.

Mittwoch, 9. Oktober 2019

Peter Wawerzinek: Liebestölpel

Peter Wawerzinek las heute im Forum Gestaltung Magdeburg aus seinem Buch "Liebestölpel". Die Lesung wurde vom Literaturhaus Magdeburg veranstaltet. Dessen Leiterin, Ute Berger, sprach am Beginn des Abends mit Peter Wawerzinek, der im Jahr 2015 Magdeburger Stadtschreiber war, über seine Arbeit und seine Zeit in Magdeburg.


Noch vor den Gesprächen über das aktuelle Buch war Peter Wawerzinek das Gedenken an das schreckliche Attentat in Halle wichtig, wo gerade einen Tag vor der Lesung ein Neonazi die Hallenser Synagoge überfallen wollte und in den Straßen nebenan zwei Menschen hinterhältig und brutal ermordete. "Als ich auf der Fahrt nach Magdeburg davon hörte", sagte Wawerzinek, "ging mir das auch deshalb besonders nahe, weil ich diese Gegend aus der Kindheit kannte. Im Sommer wurden Kinder aus Halle zur Erholung an die Ostsee geschickt und wenn sich diese blassen Kinder am Strand erholten, fuhren wir nach Halle". Daher hat Wawerzinek Ortskenntnis und stellte fest "ich kenne diese Gegend noch wie heute, das besetzte Haus kenne ich, bei Bäcker Kalb haben wir Kuchen geholt, auch auf dem Friedhof der Synagoge bin ich gewesen".

Zurück zum Buch. "Nach der Rabenliebe und dem Schluckspecht, da sollte auch wieder ein Vogel dem Buch den Titel geben?", fragte Ute Berger. Peter Wawerzinek sinnierte über die Tölpel, die auf Helgoland ihre Nester auf schmale Felsvorsprünge bauen, von denen aus sich die Jungen ins kalte Wasser stürzen müssen. "Es schaffen nicht alle, aber die die es schaffen, aus denen wird auch was. Das wäre ja schon mal ein schönes Bild". Und was wirst Du heute daraus lesen? Wawerzinek zitiert Frank McCourt (Anm.: Autor von Die Asche meiner Mutter): "Wenn man richtig erzählen will, dann muss man zurück in seine Jugend".

Und so fängt Peter Wawerzinek mit dem Anfang an, mit den kurzen schwarzen Zöpfen seiner Jugendfreundin Lucretia, mit der er seit frühesten Kindertagen vertraut ist. (später, im Gespräch nach der Lesung, wird Wawerzinek einige Aufklärung zu den immer wieder zu autobiografisch geprägten Texten gestellten Fragen nach dem Gehalt an eigenem Leben des Autors geben, der auch hier nicht bei 100 Prozent liegt). Er liest Geschichten von erster, noch kindlicher Verliebtheit, Geschichten vom Leben im Kinderheim an der Ostsee. Das Motiv von Brüderlein und Schwesterlein, die ganz allein im Wald unterwegs sind, mag dafür stehen. Über die elternlosen Kinder sagt er "Verlorene sind wir von Anfang an" und berichtet dennoch von der Geborgenheit im Heim. "Bei einer Lesung aus 'Rabenliebe' traf ich ehemalige Klassenkameraden, die mir sagten, 'dass Du ein Heimkind warst haben wir gar nicht richtig gewusst'. So etwas war damals gar nicht Thema, war etwas selbstverständliches, über das nicht gesprochen werden musste."

Wawerzinek liest mit einer sehr lebendigen Sprache, er liest nicht einfach so, sondern singt beinahe, wenn die Protagonisten Abzählverse rufen, eins zwei drei vier Eckstein/ alles muss versteckt sein. Und wenn er von der Ostsee berichtet, von den Ausflügen an den Strand, dann klingen die Geschichten so, wie man sie aus der eigenen Kindheit kennt, die Freude daran, am salzigen Wasser der Ostsee zu sein, den heißen Sand zu spüren.

Freitag, 27. September 2019

Vergessene Komponisten in der Kammerphilhamonie

Musik vergessener und verfemter Komponisten stellt die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie des Salzlandkreises in dieser Saison in die Mitte ihrer Konzerte. Den Auftakt machte heute Filmmusik des Franzosen Maurice Jaubert.

Maurice Jaubert (3. von links) am Klavier
(Bild: Wikipedia)

Jan Michael Horstmann, seit dieser Spielzeit neuer Dirigent der Kammerphilharmonie, sagte in seiner Konzerteinführung: "es gibt so viele Komponisten, die heute vergessen sind, oft zu unrecht vergessen sind, verfemt wurden, nicht mehr gespielt werden durften, umgebracht wurden – wir wollen ihnen und ihrer Musik in unseren Konzerten ein neues Leben geben. Bei der Zusammenstellung der Konzertreihe "Festliche Kammerphilharmonische Konzerte" hat die Kammerphilharmonie die Musik dieser Komponisten zwischen die anderer, heute immer noch berühmter Komponisten gesetzt. "Wir hätten auch ein extra Konzert nur für diese Komponisten machen können, dann wären sie einmal aufgeführt und wieder vergessen", sagte Horstmann, "so bleiben die vergessenen Komponisten durch die Dauer der Konzertreihe vielleicht besser in Erinnerung".

Beim Auftaktkonzert der Reihe "Am Hofe von Versailles" war es Maurice Jaubert (1900 – 1940), dessen Musik zwischen Jean-Féry Rebel und Joseph Haydn gesetzt wurde. Jaubert komponierte in den 1930er Jahren populäre Musik für Theater, Ballett und für knapp 30 Filme. So auch für den 1933 gedrehten Film Quatorze Juillet (Der 14. Juli). Ein Film, der am Vorabend des französischen Nationalfeiertags beginnt: die Straßen werden geschmückt, die Blumenverkäuferin verliebt sich in den Taxifahrer Jean, natürlich kommen einige Verwicklungen bis hin zur Pariser Unterwelt dazwischen, ehe sich die beiden wirklich haben dürfen.

Samstag, 21. September 2019

Orgelnacht im Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg

Orgelmusik bis Mitternacht gab es an der Jehmlich-Orgel im Magdeburger Kloster unser lieben Frauen: Musik unterschiedlichster Stile, von Klassik über Klezmer bis zu freier Improvisation. Die Orgelnacht war Teil der Magdeburger Kulturnacht, die wie ein über die ganze Stadt verteiltes Festival war. An vielen Orten in Magdeburg gab es Musik, Theater, Ausstellungen, Performances.


Wegen anderer Termine schaffte ich es erst gegen Ende der Orgelnacht ins Kloster, gerade als Sandra Schilling über Filmmusik-Themen improvisierte. Beschwingte Klänge, bei denen sie die Jehmlich-Orgel wie eine Jahrmarktsorgel klingen ließ – eine interessante Erfahrung, die Orgel so zu erleben. Dann wieder Dramatik, irgendwas aus Star Wars meinte ich herauszuhören, und am Ende nochmal der volle Klang einer Kirchenorgel.

Gleich im Anschluss standen der Domorganist Barry Jordan und der Saxophonist Warnfried Altmann auf dem Programm. Man sah Barry Jordan am Spieltisch der Orgel sitzen – doch die Töne kamen aus ungeahnter Richtung, von irgendwo weit hinten im Rücken der Zuhörer, aus den Tiefen des großen romanischen Kirchenschiffes. Warnfried Altmann steht dort mit seinem Saxophon, das er langanhaltend bläst, mit Klängen, die tatsächlich denen einer Orgel ähneln. Deutlich ist die Melodie des Chorals „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ herauszuhören. Nun antwortet auch Barry Jordan mit leisen Tönen der Orgel. Den Choral weiter spielend schreitet Altmann durch die Mitte der Stuhlreihen nach vorn, steht schließlich vor dem Orgelprospekt. Es entwickelt sich ein Wechselspiel zwischen beiden Musikern. Auf schreiend laute Saxophontöne antwortet Jordan mit kräftigen Akkorden.

Sonntag, 1. September 2019

Ouvertüre zur neuen Saison der Telemann-Sonntagsmusik

Unter dem schlichten Titel "Ouvertüre" für das inzwischen 563. Konzert startete die Telemann-Sonntagsmusik in ihre neue Saison.
Robert Sellier – Tenor
Thomas Ernert – Oboe
Birgit Schnurpfeil – Violine
Henriette Auracher – Violine
Hartmut Neubert – Viola
Katharina Holzhey – Violoncello
Johannes Weiss – Cembalo

Am Beginn des Konzertes zur Eröffnung der neuen Sonntagsmusik-Saison gab es ein reines Telemann-Programm: Geistliche Kantaten sowie Ouverturensuiten und Triosonaten, zwei instrumentale Gattungen, mit denen der Komponist prägend auf das Musikleben seiner Zeit eingewirkt hat.

Der Opern- und Konzertsänger Robert Sellier wirkte er in zahlreichen Barockopernproduktionen mit und arbeitet seit langem intensiv mit verschiedenen Alte-Musik-Ensembles zusammen – so wie heute mit seinen erfahrenen Kollegen aus dem Händel-Festspielorchester Halle. So waren die beiden immer ein wenig zerstrittenen größten Städte des Landes musikalisch vereint. 

Eines der interessantesten Stücke war für mich eines für Solo-Violine. Johannes Weiss, der auch durch das Programm führte, sagte dazu "Diese Solo-Stücks dienten immer auch dazu, besondere Eigenheiten oder Fähigkeiten des Instrumentes besonders hervorzuheben". Für die Umsetzung hatten sich die beiden Violinistinnen etwas ganz besonderes ausgedacht: Henriette Auracher verschwand, noch während es den Applaus des vorangegangenen Stückes gab, unauffällig durch die Tür am Ende des Saales – die zu einer Treppe hoch auf die Empore führt. Birgit Schnurpfeil begann das Solostück zu spielen, hielt mit erhobenem Bogen kurz inne, wie um dem Klang nachzulauschen. Irgendwo von oben her, unsichtbar für die Besucher, wurde die Melodie fortgesetzt. Das wiederholte sich noch mehrere Male. Das war ganz großes Können, zumal sich auch die beiden Musikerinnen nicht sehen konnten, und das war auch eine wunderbare Erfahrung der Musik, zauberhaft! Man konnte förmlich den Geist der Musik spüren. Mitunter war es nicht einfach nur ein ineinander Übergehen der Klänge beider Instrumente, man meinte zuweilen ein paralleles Spiel der beiden zu vernehmen. Aber das konnte doch gar nicht möglich sein, so ganz ohne Blickkontakt. Oder etwa doch? Wie auch immer: gekonnt und ganz große Klasse! Zugleich war es ein Beweis der akustischen Qualität des Schinkelsaales. Denn für den Zuhörer unten im Saal war es ohne hinzusehen nicht zu unterscheiden, wer von beiden gerade die Violine spielte. (Bedauerlich war nur, dass es bei diesem zauberhaften Stück im Publikum einige Idio... wenig sensible Zeitgenossen gab, die sich darüber austauschen mussten, wo denn nun der Klang der unsichtbaren zweiten Violine herkam. Mit verhaltener Stimme zwar, aber für die übrigen doch deutlich vernehmbar.)

Samstag, 31. August 2019

Pretziener Musiksommer: Sofja Gülbadamova

Die Pianistin Sofja Gülbadamova gehört schon seit Jahren zum festen Programmbestandteil des Pretziener Musiksommers. Diesmal hatte sie Musik im Programm, die sie im engeren oder weiteren Sinn unter das Thema "Wald" stellte.


Vor Beginn ihres Klavierabends spricht Sofja Gülbadamova über das Thema des heutigen Programms und über die Komponisten. Spricht über Robert Schumann, der während der Komposition seiner Oper Genoveva Bilder und Stiche zum Thema Wald an den Wänden hatte, die ihm vielleicht auch bildliche Inspiration zu den späteren Waldszenen waren. Aus diesen Waldszenen hebt sie eine besonders hervor, den Vogel als Prophet. "Es ist eine ganz besondere Musik", sagt sie, "der Welt würde etwas fehlen". Auch über Josef Suk spricht sie, den Schwiegersohn Antonín Dvořáks, der seinen bekanntesten Kompositionen erst schuf, nachdem er kurz nacheinander seine Frau und den von ihm verehrten Schwiegervater verlor. Die von ihm zu hörenden Stücke, ein Liebeslied und weitere romantische Kompositionen, stammten aus einer früheren Schaffensperiode, waren fröhlicher Natur.

Als sie ihren Klavierabend beginnt, setzt sich Sofja Gülbadamova konzentriert an den Flügel, wartet auf die völlige Stille in der Kirche, darauf dass auch das letzte Rascheln der Programmzettel verstummt. Dann beginnt sie mit Josef Suks Liebeslied, mit leisen Tönen im tiefen Bass. Leise schmachtende Töne, die bald wilder, exstatischer Freude Platz machen.

Bücher und Gespräche

Maria und Rüdiger Meussling setzten sich vor Beginn des Musiksommer-Konzertes in den Schatten eines Baumes im Pretziener Kirchgarten. Mitgebracht hatte sie ihre mit "ihren" Kirchen in Pretzien und Plötzky verbundenen Bücher.

Maria und Rüdiger Meussling (rechts) sitzen mit ihren
Büchern im Schatten eines Baumes. Immer wieder
setzen sich Freunde und Bekannte zu ihnen.

Schon vor vielen Jahren begann Maria Meussling damit, die Geschichte der Pretziener Kirche St: Thomas und die Restaurierung der Kirche und der darin gefundenen mittelalterlichen Wandgemälde aufzuschreiben (Der verlorene Christus von Pretzien). Es folgten Bücher über die Kirche St. Maria Magdalena in Plötzky, Geschichten im Umfeld der Kirche und ihres Heimatdorfes Plötzky und über ihre Arbeit als Restauratorin. Bücher wie Wenn Steine predigen (das ihr neuestes ist), Kirchturmgeschichten oder Der Sommer mit Hirsch Heinrich und andere Geschichten.  "Ich schreibe und Rüdiger macht die Handwerksarbeit" sagt sie und meint damit ihr Buch Das zerschnittene Gemälde, das ihr Mann, der vor seiner Ausbildung als Pfarrer eine Buchbinderlehre absolvierte, Exemplar für Exemplar in Handarbeit gebunden hat.

Sonntag, 25. August 2019

Ganz unten

Der Brunnen ist fast trocken, also ab nach ganz unten und schauen, ob man da noch was machen kann.


Die Elbe hat schon seit Wochen historische Tiefststände, auch das Grundwasser hier im Urstromtal der Elbe steht so tief wie noch nie. Heute waren es 3,42 Meter unter dem Brunnendeckel oder nach absolutem Maß: bei 44,60 m über NN. Oder, für die Bewässerung des Gartens viel wichtiger: Nur noch zwanzig Zentimeter Wasser stehen im Brunnen. Weil der Saugschlauch auch noch ein paar Zentimeter unter Wasser hängen muss (etwa 15 Zentimeter sinkt der Wasserstand bei einer Entnahme von 1200 l/h), ist das zu wenig, um länger als ein paar Minuten zu gießen. Und Woche für Woche geht der Wasserspiegel um weitere zwei bis drei Zentimeter zurück. Der bisher höchste Grundwasserstand war im Januar 2011, da stand es 1,415 m unter dem Rand bzw. bei 46,605 m über NN.

Also die Leiter rein und versuchen, im Brunnen noch etwas tiefer zu kommen. Eine Tauchpumpe saugt den Brunnen noch weiter leer, bis nur noch die letzten fünf Zentimeter Wasser drin bleiben. Selbstverständlich geht es nicht runter, ohne dass oben eine Sicherungsperson ist. Bei 32 Grad draußen ist es unten angenehm kühl.

Mittwoch, 21. August 2019

Fensterkreuze

Bei einem Workshop in Berlin sah ich diese verblüffende optische Erscheinung. Im strengen geometrischen Muster der Fassade des Innenhofes des VKU-Forums spiegelte sich in den Fenstern die eben so gestaltete gegenüber liegende Fassade. In den Fenstern waren aus dem richtigen Blickwinkel weiße Kreuze zu sehen.


Samstag, 10. August 2019

Konzert für Trompete und Orgel

Joachim Schäfer (Trompete) und Alina Kushniarova (Orgel) spielten heute in der Pretziener St.-Thomas-Kirche. Der Dresdener Trompeter Joachim Schäfer war schon oft und in unterschiedlichen Besetzungen Gast des des Pretziener Musiksommers. Diesmal kam er in Begleitung der in Weißrussland geborenen und in Bremen lebenden Organistin Alina Kushniarova. Das Konzert, das letzte am Ende einer dreiwöchigen Tournee, hatte er den beiden Instrumenten entsprechend unter den Titel "Das Instrument der Könige und die Königin der Instrumente" gestellt.


Die Kirche war diesmal bis zum allerletzten Platz gefüllt, Besucher saßen auch auf der Treppe zum Turm und im Bereich hinter der Orgel, neben dem heiligen Grab. Aufgeheizt von der sommerlichen Hitze war es auch in der Kirche angenehm warm. Noch bis zum Beginn des Konzertes summte die Kirche wie ein Bienenschwarm von Gesprächen der Konzertbesucher. Als aber die zum Konzert läutende Glocke allmählich verklang und Pfarrer Michael Seils zur Begrüßung nach vorn trat, wurde es plötzlich ruhig.

Das Programm begann mit barocker Orgelmusik von Guiseppe Romanino, über den außer dem Namen nichts bekannt ist. Einfache und klare Orgelmelodien sind zu hören, über den hoch Joachim Schäfers Trompete, mit beeindruckenden signalartigen Tönen. Der zweite, langsamere Satz hat dann Liedcharakter. In einer A-Dur-Sonate von Arcangelo Corelli wechselten sich Trompete und Orgel gleichberechtigt und abwechselnd in der Melodieführung ab, wobei die Orgel mehr Raum erhielt, die Melodien auszuschmücken.

Donnerstag, 8. August 2019

Ausstellung "Gräser und mehr"

Gräser in unterschiedlichen künstlerischen Formen sind in einer Ausstellung in der Galerie Süd der Feuerwache Magdeburg zu sehen. Anne Facius, Andrea Markus und Rolf Winkler haben sich auf unterschiedliche Art den Gräsern gewidmet.

Nadja Gröschner, Anne Facius, Karin Tietz,
Rolf Winkler und Andrea Markus (von links).

Nadja Gröschner vom Magdeburger Kulturzentrum Feuerwache übergab nach einer kurzen Begrüßung die Moderation an Karin Tietz, die die drei Künstler interviewte und zu ihren künstlerischen Ansätzen befragte. Alle trugen dabei Mützen bzw. Kappen aus Gräsern, die auf den ersten Blick wie Pelz aussahen.

"Wir haben hier drei Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Natur beschäftigen", stellte Karin Tietz zu Beginn fest und fragte in die Runde "Wie habt Ihr Euch denn kennengelernt?" Aus den Antworten war indirekt auch die Bedeutung von Ausstellungen herauszuhören, die eben nicht nur den Besuchern Kunst zeigen, sondern auch Künstler miteinander in Kontakt bringen. Denn letztlich hatten alle Antworten etwas mit Ausstellungen zu tun, die man besuchte und neues fand – was zugleich zeigt, dass die Kunst- und Kulturszene in Sachsen-Anhalt dann doch nicht so klein ist, dass jeder schon jeden kennt.

Die Textilgestalterin und Weberin Anne Facius wurde danach gefragt, wie sie zu ihren Ideen kam, Gräser zu verwenden. "Immer wenn ich sah, wie sich Gräser sanft im Wind wiegten, dachte ich 'da muss man doch etwas daraus machen können'". Zunächst waren es gewebte Stoffe. In der Galerie hängen einige Wandteppiche aus Gräsern, die zeigen, wie unterschiedlich sowohl das Material, die Grashalme und Rispen sein können als auch die daraus entstehenden Strukturen. Das macht Lust darauf, diese auch anzufassen. Anne Facius bittet aber darum, das nicht zu tun, jedenfalls nicht gegen den Strich zu streifen, weil sonst die Halme brechen können. "Die Mäntel aus Gräsern wollte erst keiner tragen, weil sie zu fest waren", erklärt sie, "da kam ich dann auf die Idee, Kappen und Kragen aus Gräsern zu fertigen". Durchbruch für die Gras-Kunst war dann die BUGA 2015 in Premnitz, als sie gemeinsam mit anderen in ihren künstlerisch gestalteten Gras-Kappen über das BUGA-Gelände flanierte. Bald kam das Interesse der Mode-Branche (sicher auch unter dem Blick auf die Diskussion über Pelze und Pelztierhaltung), es folgten Auftritte auf dem Laufsteg. Mit ihrer Bemerkung "... wo sonst nur die jungen und schlanken auftreten – und so jung und schlank sind wir alle nicht mehr" hatte Anne Facius die Lacher des Publikums auf ihrer Seite.

Freitag, 19. Juli 2019

Liev alleen

Im Film "Liev alleen" gibt der Berliner Schriftsteller Peter Wawerzinek filmische Einblicke in das Leben eines Kindes, das das Glück hatte, in einem DDR-Kinderheim aufzuwachsen – statt in einer psychatrischen Anstalt, wie seine ein Jahr jüngere Schwester, die von ihm getrennt wurde, nachdem ihre Eltern 1957 in den Westen abgehauen waren und ihre beiden 2- und 3-jährigen Kinder zurückließen.


Der Film, den Wawerzinek gemeinsam mit Steffen Sebastian drehte, orientiert sich an dem, was Wawerzinek bereits 2010 in seinem Roman "Rabenliebe" beschrieb. Er ist aber kein Film zum Buch, sondern eine filmische Interpretation und zugleich eine Spurensuche, ein Blick auf die Orte der Kindheit ebenso der Versuch einer Beschreibung. Wawerzink spielt darin auch als Kind sich selbst, mit Lederhose und kariertem Hemd steht er da und sinnt seiner Kindheit nach. Wenn die Personen des autobiografischen Films nicht vor der Kamera stehen wollen oder können, dann werden sie verfremdet gespielt. Die Mutter Wawerzineks, nach der er sein halbes Leben lang suchte, wird durch einen Mann in Frauenkleidern dargestellt, mit dem Fluchtkoffer in der Hand und keine Ruhe findend.

Sonntag, 23. Juni 2019

Wenzel und Gäste: Sommerkonzert in Kamp

Jedes Jahr zum Sommeranfang lädt Wenzel in der kürzesten Nacht des Jahres zum Konzert. "Wenzel und Gäste" steht als Titel darüber und Wenzel spielt mal Solo, mal mit Begleitung, mal mit mit seiner kompletten Band bis in den Morgen hinein. Mit viel Engagement unterstützt der Kamper Hafenverein das Konzert und  macht überhaupt erst möglich, dass sich die hunderten Besucher einen Abend lang so wohl an diesem schönsten Ende derWelt fühlen. In diesem Jahr zum zwanzigsten Mal.
Hans-Eckardt Wenzel – p, g, acc, voc
Theo – voc
Thommy Krawallo – b, g
Hannes Scheffler – b, g
Stefan Dohanetz – dr, perc
Manual Agosthinho Peireira – trp
Lexa Schäfer – b (im letzten Set)

Am Anfang des Konzertes steht Wenzel allein auf der Bühne, mit Gitarre, mit Akkordeon. "Sing den Trotz dir aus der Kehle / geb' dich nicht geschlagen / kotze Dir nicht deine Seele aus dem Magen" singt Wenzel zu Beginn. Ein neues Lied, in dem er sich gegen die allgegenwärtige Meinungsmache der "Wutbürger" stellt. Neben den kräftigen Liedern stehen immer wieder sanfte, wie "mach die Türe sachte zu / jedes Ich braucht auch ein Du". ("Scheiße, Mach die Türe zu, das ist ja merkwürdiger Satz gleich am Beginn eines Konzertes" sagt er dazu). Man hört dieses Lied und fühlt sich gleich heimisch in Kamp. "Was ist Wahrheit?" fragt Wenzel: "die Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit" und singt sein Lied von der schönen Festung Lilienstein. Auf "für mich sind tausend Tode ausgedacht" folgt "Diese Nacht ist uns gegeben / lasst uns etwas lauter leben".

Gleich darauf begrüßt Wenzel Tobias Morgenstern auf der Bühne. "schon 40 Jahre spielen wir zusammen", sagt er. Morgenstern begann erst solo, mit wunderschöner Musette-Klängen auf seinem Akkordeon, zog mit weitausholenden Bewegungen den Balg des Instrumentes in die Länge, seine Finger fliegen über die Tasten. Danach kommt Wenzel wieder hinzu. Auch im Duo wechseln poetische Lieder mit kräftigen, wie Sankta Statistica. Oh könnte man doch sagen / es kommt auf mich nicht an ist dann wieder eines der Lieder, die nur zu gut auf unser Zeit passen. Doch, Wenzel, Du hast recht, es kommt auf Dich an, es kommt auf jeden von uns an. Und wie viel bequemer könnte es sein, sich zurückzulehnen. Auch von Wenzel vertonte Texte von Theodor Kramer standen auf dem Programm, wie Hätt ich ein Gewind zu schmieren oder ich möchte eine kleine Wirtschaft führen, das schon von seiner allerersten Schallplatte stammt. Ja, in solcher einer kleinen Wirtschaft möchte ich selbst auch gern sitzen.

Gemeinsam mit seiner Band, die ihn wie immer wunderbar begleitet, beginnt Wenzel im nächsten Set dann mit Liedern der aktuellen CD. Lieder wie Nur der Mond mit seinem Licht, mit den kräftigen Trommelschlägen von Stefan Dohanetz. Als Wenzel und Band dann ihr "Ahoi, ahoi, ... sie kriegen uns doch alle" anstimmen, dann kriegen sie sie aber auch in Kamp alle: alle Zuhörer, die dicht gedrängt stehen und spätestens da laut mitsingen. Und auch Theo ist hier auf der Bühne, um mit seiner hellen Stimme den Refrain laut mitzusingen (wie auch bei einigen anderen Liedern, deren Refrain zum lauten mitsingen geradezu herausfordert).

Samstag, 22. Juni 2019

Kamper Impressionen

Immer in der kürzesten Nacht des Jahres kommen Hunderte nach Kamp, um Wenzel live zu hören, gemeinsam zu feiern, zu tanzen. Freunde von Wenzels Musik, von Wenzel, seinen Musikern. Denn auch so kann man "Wenzel und Gäste", den Titel des Sommerkonzertes, verstehen.

Park- und Zeltplatz

Kamp ist ein winziges Dorf, vielleicht nicht mal das, hat nur noch 13 Einwohner. Im Sommer ein paar mehr, wenn der Hafen Wassersportler anzieht und einige Ferienwohnungen belegt sind. Wenzel und seine Band hatten sich vor vielen Jahren dorthin zum gemeinsamen Proben zurückgezogen. Irgendwann sagten sie zu, mal beim jährlichen Hafenfest aufzutreten. "Diesmal ist es das zwanzigste Mal, dass wir in Kamp spielen", sagte Wenzel. "Im Jahr drauf machten wir dann das erste mal ein eigenes Konzert draus, mit Freunden gemeinsam", sagte Wenzel. Eines der ersten Wenzel-und-Gäste-Konzerte hatten wir besucht, als wir in Usedom mit den Kindern Urlaub machten und zufällig davon lasen. Dann verloren wir Kamp etwas aus den Augen und sind erst die letzten Jahre wieder regelmäßig dort. Dort, wo die Welt hinter einen langen und schmalen Betonplattenstraße zu Ende ist, am vielleicht entspanntesten Ende der Welt. Denn ist man nach langer Fahrt endlich angekommen, hat das Auto auf dem Wiesenparkplatz abgestellt, hat, weil man rechtzeitig losgefahren ist, noch viel Zeit bis zum ersten Konzert, dann ist es wirklich so wunderbar ruhig und entspannt. Die mitgebrachte Flasche Wein wird geöffnet, das Auto zum schlafen hergerichtet, dann ein Stündchen ausgeruht oder ein kleines Stück spazieren gegangen.

Wenzel und Theo: Wir machen Musik

Das erste Konzert von Wenzel und Freunden gehört den Kindern. Und gehört auch Theo. Allein mit seinem 8jährigen Sohn steht Wenzel auf der Bühne am Hafen von Kamp und singt Kinderlieder, alte und neue, und egal ob klein oder groß, alle singen mit, haben Freude an der Musik.


Stellt Euch alle in den Kreis / jeder singt das was er weiß / jeder spielt das was er kennt / auf dem Instrument – mit dem ersten Lied von Maschas Kinderlieder-CD beginnen Wenzel und Theo ihr Konzert. Und bald füllt sich der Kreis um die Bühne, sitzen in der Mitte die Kinder, stehen am Rand die Erwachsenen. Denn auch die wollen mitsingen. Etwa wenn es heißt "bunt ja bunt sind alle meine Kleider" oder Wenzel ein Lied singt, "in dem zwei sich streiten und am Ende doch etwas gutes dabei herauskommt" und hinzufügt "da können wir was draus lernen". (Der Kuckuck und der Esel). Überhaupt ist Wenzel auch bei den Kinderliedern immer gern mit Kommentaren dabei, die sich auf die Welt der Großen beziehen. Etwa bei "Auf der Mauer, auf der Lauer": "Ein Lied, bei dem man immer was weglassen muss, bis am Ende nichts mehr da ist, so wie bei der Kulturförderung in Deutschland".

Samstag, 15. Juni 2019

Holzhaustheater: Schieß mich doch zum Mond

Bereits zum 20. Mal führte das Holzhaustheater Zielitz seine Kalimandscharo-Festspiele durch. Zum Jubiläum hatte sich Theaterleiterin und Regisseurin Sigrid Vorpahl das Thema von George Bernhard Shaws Pygmalion (vielleicht bekannter als Musical My fair Lady) ausgesucht und die Geschichte um das Blumenmädchen Eliza Dolittle und den Sprachgelehrten Prof. Higgins ins Magdeburgische (oder besser: ins Machdeburjische) versetzt.


Dem Holzhaustheater ist damit eine wunderbare Aufführung gelungen, mit der Regisseurin und Schauspieler ihre bisherigen Inszenierungen selbst übertroffen haben. Unter anderem mit einer sehr guten Ensembleleistung, bei der die Laien nicht hinter den beiden Profis (Schauspieler Ekkehard Schwarz und Kabarettist Udo Kleinfeld) zurückstehen. Unbedingt empfehlenswert!

Viele der bisherigen Stücke des Sommertheaters auf dem Kalimandscharo waren Themen der Olsenbande entlehnt oder nahmen lokale Geschichten oder Sagen der Region zum Ausgangspunkt. Hier nun bediente sich Sigrid Vorpahl eines weltbekannten Themas. Sie ließen den Ort der Handlung in London, versetzten das Stück sprachlich aber nach Magdeburg. Funktioniert das? Auf jeden Fall! Die Gefahr, damit ins lokal-klamaukige abzurutschen umging das Ensemble damit, dass sie sich inhaltlich und örtlich dicht am Original hielten.

Blumenmädchen Eliza begeisterte durch ihr natürliches Spiel ebenso wie durch ihre Art, mit ihrem grauenhaften Dialekt zugleich auch nicht auf den Mund gefallen zu sein. "Ach Jottchen, Scharlottchen, det is een Schentelmen", so etwa ist ihr Sprachgebrauch, als sie den etwas verschrobenen Professor beschreibt, der ihr für eine völlig überhöhte Summe alle Blumen abkauft.

Samstag, 11. Mai 2019

Helsingør Domkantori in Pretzien

Der Pretziener Musiksommer wurde mit einem Konzert der Helsingør Domkantori unter Leitung von Roland Haraldson eröffnet. Romantische Chorsätze und moderne Werke begeisterten die Zuhörer.

Die Helsingør Domkantori in St. Thomas Pretzien

Der Chor des Domes St. Olai im dänischen Helsingør war gestern bei der Europäischen Chornacht in Magdeburg zu Gast. Und weil die Sänger nicht nur für ein Konzert herkommen wollten, fragten sie kurzerhand in Pretzien an. Pretziens Pfarrer Michael Seils freute sich über diese Vorverlegung des Pretziener Musiksommers – und über ein Benefizkonzert für die Pretziener Kirche: der Chor sang ohne Gage, die Einnahmen kamen so in voller Höhe dringend nötigen Reparaturen der Kirche zu Gute. "Inzwischen gibt es einige Risse im Mauerwerk, um die wir uns dringend kümmern müssen", sagte er. In der Tat sind die Risse an der Ostseite der Kirche unübersehbar, da kam das Angebot des Chores gerade recht.

Der aus Schleswig stammende Sänger Jürgen Schoop, der später auch durch das Programm führte und einige der Texte auf deutsch zusammenfasste, begrüßte die Zuhörer mit "Liebe Freunde der Musik, liebe Gemeinde, liebe Europäer" und machte mit diesen wenigen Worten deutlich, wie sehr den Musikern an Europa gelegen ist, wie sehr Europa den kulturellen Austausch ermöglicht.

Auch in der Musik wurde deutlich, wie nah sich Dänemark und seine Nachbarländer sind. Yndigt dufter Danmark ("wie schön duftet Dänemark") des dänischen Komponisten Svend Simon Schultz (1913-1998) beschreibt den Duft des süßen Flieders und den Gesang der Nachtigall, und hätte auch ein süßes deutsches Volkslied sein können. Lieder der dänischen Romantik von J. P. E. Hartmann mit kräftigen mehrstimmigen Chorsätzen waren sowohl von dänischer Volksmusik wie auch von der deutschen oder französischen Romantik beeinflusst. In eine geografisch andere Richtung gingen die Madonnenlieder von P. E. Lange-Müller. Der Textdichter hatte sich dafür an der russisch-orthodoxen Kirche orientiert und stellte sich betende Menschen vor goldenen Ikonen vor. Der Gesang allerdings war dann an der europäischen Klassik orientiert. Es folgten romantische Liebeslieder ebenso wie Lieder, in denen Carl Nielsen die Einheit von Mensch und Natur in Musik umsetzte.

Mittwoch, 1. Mai 2019

Julie Sassoon Quartett in Gottesgnaden

Das Julie Sassoon Quartett eröffnete heute die Saison im Saalehof Gottesgnaden. Die Musik der in Berlin lebenden Engländerin war vom Klavier ebenso wie von Klarinette und Saxophon geprägt – mit kräftigen und doch harmonischen Klängen.
Julie Sassoon – Piano
Lothar Ohlmeier – Bassklarinette, Saxophon
Meinrad Kneer – Bass
Rudi Fischerlehner – Schlagzeug

Die Band kam auf dem Weg von Bochum nach Berlin mit etwas Verspätung nach Gottesgnaden, musste wohl diesen kleinen, auf einer Saaleinsel versteckten Ort mit dem geheimnisvollen Namen erst finden. Gleich nach dem Auspacken der Instrumente (und dem Ausrichten des Klaviers, das auf dem rohen Betonfußboden des ehemaligen Stalls letztlich nur in leichter Schräglage eine kippelfreie Position fand) begannen die vier Musiker zu spielen, ohne Soundcheck. Der war auch nicht nötig, schließlich spielten die vier Musiker rein akustisch, ohne Verstärkung – was für ein Jazz-Konzert zwar etwas ungewöhnlich ist, aber andererseits ein ganz anderes, natürliches Hörgefühl mit sich brachte: eine Neujustierung der Ohren.

Das Konzert begann, anders als bei einem Klavierquartetts vielleicht erwartet, nicht klavierbetont, sondern zunächst nur mit leisen Tönen von Rudi Fischerlehner am Schlagzeug. Eine kleine Glocke imitierte ein Telefon aus analogen Zeiten, immer wieder leise klingelnd. "Nun geh' doch mal ran" wäre auch eine passende Bezeichnung des Titels ("clouds") gewesen. Julie Sassoon hielt sich anfangs zurück und ließ zart perlende Tonfolgen hören. Als dann aber Lothar Ohlmeyer mit seinem Saxophon hinzutrat, entwickelte sich nach und nach eine gewaltige Fülle an Klängen. Auch das nächste Stück, misscalled, war wieder deutlich vom Saxophon bestimmt, das von Klavier und Baß dröhnend begleitet wurde. Überhaupt erwies sich Julie Sassoon als sehr gefühlvolle Begleiterin der anderen Musiker, wenn sie etwa Lothar Ohlmeiers Klarinettensolo leise unterstützt oder den Meinrad Kneers Baß, der immer mal wieder im Solo sein Instrument zum Melodieinstrument machte. An solchen Stellen merkt man, wie gut die Musiker aufeinander eingespielt sind: wenn sich Saxophon, Schlagzeug, Baß und Klavier in wilder Dynamik zusammenfinden, das Klavier dabei eher zum Teil des Schlagzeugs wird. Wow!

Sonntag, 21. April 2019

Christo – Walking on Water

Gestern im Kino im Moritzhof Magdeburg Christo – Walking on Water gesehen.



Ich war vom Film begeistert. Sicher auch deshalb, weil ich selbst dort war (mein Rückblick hier im Blog). Aber auch weil das ein wunderbarer Film über diesen Künstler und seine Arbeit ist. Der Film nimmt den Zuschauer mit in die letzten Monate, Wochen und Tage vor Fertigstellung des Projektes und die 16 Tage der bestehenden Installation. Der Film zeigt Christo und Jeanne Claudes seit 36 Jahren andauernde Arbeit an diesem Projekt und dessen Vorgängern, zeigt Christos Begeisterung ebenso wie seine Wut über nicht funktionierende Technik, die Ungeduld gegenüber italienischer Bürokratie und das geduldige Agieren seines Projektleiters Vladimir Yavachev. Es wurde auch deutlich, wieviele Unwägbarkeiten noch in den letzten Tagen und Stunden das Wetter bot.

Und es war zu erahnen, welches Glück wir hatten, zur richtigen Zeit nach Italien gefahren zu sein. Denn in den ersten Tagen waren viermal so viele Besucher wie vorgesehen auf den Stegen – ein riesiges Gedränge auf den Stegen, das beinahe zum Abbruch des Projektes geführt hätte. Wir hatten dann zwar vier Stunden Wartezeit zu überbrücken, konnten dann aber das Gehen auf dem Wasser genießen! Ein herrliches (und unwiederbringliches) Erlebnis!

Ein sehenswerter Film, auch für die, die nicht dort in Italien waren, die sich aber allgemein für Christos Projekte interessieren.

Freitag, 29. März 2019

American Rhapsody

Der Leipziger Jazz-Pianist Stephan König war heute als Solist im Konzert der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie zu hören. Für das unter dem Titel "American Rhapsody" stehende Programm hatte er sich von der Entstehungsgeschichte von Bernsteins Rhapsody in Blue inspirieren lassen. Der New Yorker Konzertveranstalter Paul Whitemann hatte 1924 die Idee, den Jazz auf die klassischen Konzertbühnen zu holen und setzte George Gershwin (anfangs gegen dessen Willen) auf die Programmliste. Nach der Veröffentlichung des Programms blieb diesem nichts anderes übrig als zuzusagen und die Rhapsody in Blue zu komponieren. Der Rest ist bekannt, "das Stück hat sich durchgesetzt und auch den Jazz gibt es immer noch in Verbindung mit klassischer Musik", wie König dem Publikum sagte.

Stephan König

Am Beginn stand Liszt's ungarische Rhapsodie, genauer: eine davon (das Programmheft verrät leider nicht, welche). Nach sachtem Beginn vom Orchester kräftig gespielt, mit viel musikalischem Effekt und Schlagzeug-/Blechbetont. Nach diesem Stück wies Dirigent Gerard Oskamp darauf hin, dass "die Salzlandsparkasse nicht nur unser wichtigster Sponsor ist, sondern diesmal sogar ihr Vorstandsvorsitzender Hans-Michael Strube an der Posaune aushilft". Er fügte noch "und er macht das sehr gut" hinzu.

Ernst von Dohnanyis Amerikanische Rhapsodie beginnt mit sanften Streicherklängen, über denen die Klarinette eine Melodie spielt. In den später dann kräftiger werdenden Orchesterklängen, baut sich eine Stimmung wie auf dem Lande auf, kurz bevor ein Gewitter ankündigende Wolken aufziehen. Musik, die eine Geschichte erzählt, Musik, die man sich auch gut als Begleitung eines Films vorstellen kann, in dem Planwagen westwärts ziehen. Im furiosen Mittelteil gibt es dazu die Hornsignale des Postillons.

Sonntag, 24. März 2019

Klaus Doldinger & Passport

Heute spielte Klaus Doldinger mit seiner Band Passport im Magdeburger Opernhaus. Eine wunderbare Erinnerung an die große Zeit des Jazz-Rock, der heute immer noch seine Wirkung entfaltet.
Klaus Doldinger – Saxophon, Flöte
Michael Hornek – Keyboard
Ernst Ströer – Perkussion
Martin Scales – Gitarre
Patrick Scales – E-Bass
Biboul Darouiche – Percussion
Christian Lettner – Schlagzeug

Klaus Doldinger und seine Band Passport habe ich zum ersten mal Anfang der 80er Jahre auf einer Amiga-Jazz-LP (Ataraxia) gehört, die dann bei mir zu Hause rauf und runter lief. Nun war er in Magdeburg bei seiner Tour zum 60(!)jährigen Bühnenjubiläum live zu erleben. Klaus Doldinger greift zum Saxophon und er und seine Band beginnen das Konzert mit Abrakadabra. Eine Zeit lang läßt er seine Band allein spielen, mit groovenden Klängen, die über weite Strecken von Martin Scales an der Gitarre und von Biboul Darouiche an den Percussions bestimmt werden. Als dann Doldinger wieder zum Saxophon greift, mit wenigen Tönen des großen Instruments mit dem Schlagzeuger in einen Dialog tritt, da ist plötzlich die musikalische Stimmung da, die schon von den alten Paßport-Platten vertraut ist.

Doldinger spricht zwischen den Titeln immer wieder über seine Musik, über Musiker, die er noch kennengelernt hat, "Benny Goodman habe ich noch selbst gehört", über die vielen Konzerte im Ausland bereits in jungen Jahren. "Auch im nahen Osten –  es ist so traurig was da passiert". Die Musik ist für ihn das verbindende Element. "Die Zeit geht voran, manches wird wilder, auch die Musik. Aber es geht immer weiter, und das ist gut so." Das könnte gleichsam Fazit einer so langen Bühnenerfahrung sein. Ja, das ist gut so, und mach weiter so!, möchte man dazu sagen.

Ataraxia ist dann gleich der zweite Titel. Synthie-Klänge und Sopransax, später dann E-Gitarre und leise gespieltes Schlagzeug. Anrührend schön. Bei Seven to Four ist Doldinger nur der Stichwortgeber für seine Band, als er nur für kurze Passagen zum Saxophon greift. Beim nächsten Titel dann wieder sphärische Keyboardklänge mit klaren, nur hingehauchten Tönen des Sax, dazu etwas Hall, auch das ist der typische Doldinger-Sound.

Donnerstag, 14. März 2019

Vorsicht, Heimat! Deutscher Karikaturenpreis

Im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus ist gegenwärtig eine Ausstellung von Karikaturen zu sehen, die unter dem Titel "Vorsicht, Heimat!" für den Deutschen Karikaturenpreis 2018 eingereicht wurden. Auf dem Rückweg von einer Veranstaltung blieb bis zur Abfahrt des Zuges noch etwas Zeit, diese interessante Ausstellung anzuschauen. 


Über 200 Zeichner haben im vergangenen Jahr Arbeiten zum vorgegebenen Thema "Vorsicht, Heimat!" eingereicht, 117 schafften es in die Shortlist, 4 wurden in unterschiedlichen Sparten mit dem Karikaturenpreis ausgezeichnet. Eine große Zahl unterschiedlichster Karikaturen, manche aufwendig gemalt oder gezeichnet, andere mit schnellem Strich auf's Papier gebracht. Viele der ausgestellten Karikaturen beschäftigen sich mit den Gefühlen für Heimat, thematisieren unterschiedliche Deutungen des Heimatbegriffes oder greifen aktuelle politische Themen, manche der Arbeiten sind auch einfach nur albern. Aber das ist liegt in der Ansicht des Betrachters. Ebenso wie die Wahl der Preisträger, die bei mir wohl anders ausgefallen wäre.

Montag, 4. März 2019

Käsemilben und Milbenkäse

Heute haben wir den wohl teuersten Käse der Welt gekostet: den Milbenkäse aus Würchwitz. Von diesem legendären Käse haben wir schon hier und da mal gehört oder gelesen, und nun endlich einen freien Tag genutzt, um zur Würchwitzer Käsemanufaktur zu fahren.

Die Kisten mit Milben, in denen der Milbenkäse reift

Würchwitz ist inzwischen zwar ein Ortsteil der Stadt Zeitz, ansonsten aber ein kleines Dorf mit kleinen alten Häusern. In eí nem davon, dem letzten Haus am nordöstlichen Ortsrand, befindet sich die kleine Manufaktur, in der Helmut Pöschel die bereits über 500 Jahre nachweisbare Tradition dieser ungewöhnlichen Käseherstellung fortführt. Feste Öffungszeiten der Manufaktur gibt es nicht. Am besten man fragt vorher, entweder über die Webseite oder telefonisch, oder man macht es wie wir und fährt auf gut Glück los und hofft, dass jemand anzutreffen ist. Wir hatten Glück und wurden dann auch sehr herzlich im Haus des Milbenkäses begrüßt.

Der Chef persönlich war vor Ort – und das war wirklich ein Glückstreffer, schließlich verstand sich Helmut Pöschel bestens darauf, alles, wirklich alles über seinen Käse und seine Milben zu berichten. Als erstes führte er uns in das „Allerheiligste“ der Käseproduktion: eine kleine Kammer, kaum drei oder vier Quadratmeter groß und mit unverputzten Sandsteinwänden. Sofort schlägt uns starker Ammoniakgeruch entgegen. „Das sind die Ausdünstungen der Käsemilben“, erklärte Pöschel, „die scheiden Ammoniak aus, wenn sie den Käse fressen“. Dann fällt der Blick auf alte Holzkisten, die auf den Holzregalen stehen. Zwei davon öffnet Helmut Pöschel. In einer ist erst mal nur eine gelbliche Masse zu sehen, ähnlich wie Sand, aus der die Umrisse einiger Käsestücke ragen. „Das sind etwa 250 Millionen Milben“, erklärt Pöschel.

Sonntag, 3. Februar 2019

4 Times Baroque

4 Times Baroque aus Frankfurt brachte jugendlichen Schwung mit, als sie in Magdeburg bei der Telemann-Sonntagsmusik spielten. Ihr Auftritt bei der restlos ausverkauften Magdeburger Sonntagsmusik begeisterte!
Jan Nigges – Blockflöte
Jonas Zschenderlein – Violine
Karl Simko – Cello
Alexander von Heißen – Cembalo
4 Times Baroque bei der 560. Telemann-Sonntagsmusik
im Magdeburger Gesellschaftshaus (Foto: Kathrin Singer)

Vor Beginn des Konzertes begrüßte Jan Nigges das Magdeburger Publikum: "Wir freuen uns, hier in der Geburtsstadt Telemanns spielen zu dürfen. Selbst kommen wir aus Frankfurt – einer Stadt, die sich Telemann ebenfalls sehr verbunden fühlt. Schließlich hat er dort lange Zeit gelebt und musikalisch – und auch finanziell – gewirkt".

Nicht nur Kompositionen von  Telemann (dessen Musik sich die Magdeburger Sonntagsmusik-Reihe ausdrücklich verschrieben hat) standen auf dem Programm. Und dieses Mal waren es neben den (virtuos und frisch gespielten) Telemann-Stücken vor allem die anderer Komponisten, die mich besonders begeisterten.

Darunter eine (wie man im Programmheft erfahren konnte) bis noch vor wenigen Jahren Telemann zugeschriebene d-Moll-Sonate, für die erst im Jahr 2009 der Hamburger Organist Pierre Prowo (1667-1757) als Komponist ermittelt wurde. Ein Stück, dessen erster Satz mich an Telemanns Hamburger Stücke wie „Ebbe und Flut“ erinnerte und dessen letzter ein mitreißender Tanz war, so wie er damals vielleicht auf einer Dorfhochzeit gespielt wurde. Auch unverstärkt wurde die Musik so kraftvoll gespielt, dass man sich bildlich vorstellen konnte, wie damals Stimmung aufkam (und ob die Herkunft des Tanzes in Süd- oder Osteuropa liegt, könnten mir vielleicht die Musik-Kenner unter den Lesern mal mitteilen).