Sonntag, 13. Februar 2022

Grete Minde

Eine späte, aber auch eine wunderbare Aufführung. Eugen Engels romantisches Operndrama erlebte nach fast 90 Jahren seine Uraufführung am Magdeburger Theater. So lange musste das Werk des 1943 von den Nazis im Vernichtungslager Sobibor ermordeten deutsch-jüdischen Komponisten auf seine Aufführung warten, ehe es durch eine Reihe glücklicher Zufälle in die Hände von Magdeburgs Generalmusikdirektorin Anna Skryleva gelangte.

Grete Minde (Raffela Lintl)
alle Fotos: Andreas Lander

Die Oper nimmt uns gleich auf zwei Zeitreisen mit: geschichtlich in die Zeit kurz vor dem 30jährigen Krieg, in die Zeit der Auseinandersetzungen um den "richtigen Glauben" und die Zeit des großen Stadtbrandes von Tangermünde. Und musikalisch in die Zeit der 1920 bis zum Beginn der 1930er Jahre, als Eugen Engel seine Oper unter dem Einfluss der Musik von Komponisten wie Wagner oder Humperdinck komponierte. Aber auch die tragischere Lebens- und Leidensgeschichte von Eugen Engel und seiner Familie gehört zum Bericht über die Oper unbedingt dazu. Schließlich war es gerade auch diese Geschichte, die mich neugierig auf die Magdeburger Uraufführung machte. 

Eugen Engel war gelernter Kaufmann und musikalischer Laie, das Komponieren eignete er sich überwiegend im Selbststudium an. Gleichwohl war er im Berlin nach der Jahrhundertwende bis zum Beginn der Nazizeit gut in der Berliner Kulturszene vernetzt, ließ sich um 1914 vom späteren Rundfunkpionier Hans Bodenstedt das Libretto für die Oper Grete Minde schreiben, an der er dann über fast zwanzig Jahre arbeitete. Gerade als die Oper fertig war, kam Hitler an die Macht, aus Bodenstedt wurde ein NSDAP-Karrierist und Blut-und-Boden-Ideologe. Und für den jüdischen komponisten Engel gab es keine Möglichkeit mehr, sein Hauptwerk irgendwo aufführen zu lassen. 

Im Jahr 1939 emigrierte Eugen Engel zu seiner Tochter Eva nach Amsterdam. Eva Löwenberger (später anglisiert: Lowen) und ihr Mann Max konnten 1941 in die USA auswandern. Engel hatte 1941 bereits die Genehmigung der kubanischen Botschaft für eine Ausreise nach Kuba, diese scheiterte jedoch. 1943 wurde Eugen Engel im Deportationslager Westerbork interniert und von dort am 23. März 1943 in das Vernichtungslager Sobibor gebracht, wo er ermordet wurde. 

Engels Tochter hatte einen Koffer mit Werken (einige Lieder, wenige Chorsätze, ein Streichquartett und eine Oper) und Korrespondenz ihres Vaters mit nach Amerika genommen. Nach dem Tod von Eva Lowen übergab Engels Enkelin Jan Agee einige dieser Dokumente dem Jüdischem Museum Berlin und kümmerte sich um die Wiederentdeckung der Werke ihres Großvaters. Als bei einer Stolpersteinverlegung vor Engels letztem Wohnsitz Lieder von Engel aufgeführt wurden, kam in der Folge der Kontakt zu Anna Skryleva zustande, die erst einen Klavierauszug der Oper erhielt und sich dann für die Oper so begeisterte, dass sie sie in Magdeburg zur Aufführung brachte. 

Dies alles nur in Kurzfassung – nachlesen kann man es in mehreren Zeitungsartikeln, die u.a. im Wikipedia-Artikel zu Eugen Engel verlinkt sind. Diese geschichtlichen Hintergründe waren aber sofort vergessen, als die Oper begann (was für die Qualität der Musik spricht), die Handlung, die Musik und die Inszenierung waren packend. Erst beim späteren Nachdenken, beim Schreiben des Textes wurde mir wieder bewusst:  Jedes Werk eines verfemten oder ermordeten jüdischen Künstlers ist auch ein später Sieg der Menschlichkeit über den Faschismus.

Die Handlung auf der Opernbühne (die dank Theodor Fontanes gleichnamiger Novelle auch überregional bekannt sein dürfte) ist kurz und wird linear erzählt: Grete Minde, eine junge Frau, lebt im Haus ihres Halbbruders Gerdt und dessen Frau Trud. Sie verliebt sich in Valtin, den Sohn der Nachbarn und nach einem Streit mit Trud verlassen beide Tangermünde. Drei Jahre später überzeugt der schwer erkrankte Valtin Grete vom Totenbett aus, mit dem gemeinsamen Kind zurück nach Tangermünde zu ziehen und ihr Erbe einzufordern. Dieses wird ihr verweigert, aus Rache zündet Grete die Stadt an. Immerhin lässt der Librettist Bodenstedt Grete beim Brand sterben und sie nicht, wie in Wirklichkeit geschehen, zu Tode foltern und auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ein Justizmord, wie sich bereits kurz nach dem Erscheinen von Fontanes Novelle herausstellte. 

Die Magdeburger Inszenierung setzt ganz auf die Wirkung der Musik und verzichtet auf überbordende Bühnenbilder. Die Kulisse eines Haus, bezogen mit durchscheinendem Stoff, unterschiedlich angestrahlt, Koffer, Kisten und Bänke, mehr war nicht nötig, um die Handlung und die Musik wirken zu lassen. Die Oper beginnt ohne großes Vorspiel, sondern mit einem Frühlingslied der verliebten und glücklichen Grete. Nach dem leisen Beginn untermalt die Magdeburger Philharmonie über weite Strecken hinweg mit kräftigen Klängen die Handlung, die Auseinandersetzung der Figuren, den Tanz der Gaukler, die die Handlung kommentieren. Kräftige, teils warme, teils bedrohlich dröhnende Bläsersätze erinnern an Wagner, ohne dass es nach einer Kopie klingt. Das ist schon eine eigene Musiksprache, welche Engel entwickelt hat. Musik, die das volle Orchester benötigt, mit einer Fülle an Musikern, wie man sie in Corona-Zeiten schon gar nicht mehr gewohnt ist. Die Instrumentierung reicht bis hin zu einer Orgel für die Kirchenchoräle. Auch auf der Bühne ist es voll: der komplette Opernchor ist versammelt, um mit kräftigem Gesang die Bürger der Stadt Tangermünde darzustellen. Als diese dem Kurfürsten bei dessen Einzug in die Stadt zujubeln, gibt es übrigens einen einzige Anspielung an die Nazizeit: im Durchgang der Hausfassade blickt man auf marschierende Soldaten mit deutschen Stahlhelmen. Der Handlung mangelt es nicht an dramatischen Szenen, die dann auch die Höhepunkte der Gesangsstücke sind,. Ergreifend singt und spielt Raffaela Lintl die Grete, wie sie verzweifelt über den Tod Valtins ist, wie sie für ihr Recht streitet, am Ende dann tödliche Rache nimmt. 

Roter Feuerschein ist das letzte was man sieht. Nach den letzten Tönen: Vorhang zu – und erst mal Schweigen. So intensiv war die Wirkung der Oper, so intensiv das erlebte Drama, dass nach dem Fall des Vorhangs der wohlverdiente Beifall nicht gleich losbrach, sondern das Publikum erst einmal kurz innehielt. Um danach aber loszujubeln (mit der Zurückhaltung des Magdeburger Theaterpublikums, aus dem laute Bravo-Rufe, wenn auch verdient, doch eher selten zu vernehmen sind). 

Eine großartige Aufführung bei der Solisten, Orchester und Chor gleichermaßen zur Geltung kommen, und eine unbedingte Empfehlung! In den nächsten Wochen stehen weitere Aufführungen noch am Sonntag dem 20. Februar., am Sonnabend dem 5. März und am Sonnabend dem 26. März auf dem Spielplan


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