Der Dramaturg David Schliesing und die Schauspielerin Judith Kruder lasen im Schloss Hohenerxleben Lyrik und Prosa der Dichterin Rose Ausländer. Den Titel eines ihrer Gedichte, "Wohnen im Atemhaus", stellten sie als Überschrift der Lesung voran.
Unsichtbare Brücken spannen
von dir zu Menschen und Dingen
von der Luft zu deinem AtemMit Blumen sprechen
wie mit Menschen
die du liebstIm Atemhaus wohnen
eine Menschblumenzeit
Rose Ausländer, 1901 in der Bukowina, in Czernowitz geboren, wechselte mehrfach zwischen ihrer Heimat, den USA und Österreich, überlebte die Besetzung ihrer Heimat durch rumänische, mit dem faschistischen Deutschland verbündete Truppen und das jüdische Getto, wurde von der Sowjetarmee befreit, zusammen mit den letzten nur etwa 5.000 überlebenden Juden des Gettos, von einst 55.000. Sie lebte und arbeitete ab 1965 in Düsseldorf, wo sie 1988 starb. Mit ihrem Leben hat sie damit fast das ganze 20. Jahrhundert mit seiner großen Tragik erlebt. Daran erinnerte auch Heinrich Dieter Funke vom Schloß Hohenerxleben, der die Lesung eröffnete.
Die Schrecken der Nazizeit waren in vielen der Gedichte Rose Ausländers spürbar, aber auch der Glaube an das Leben. "Warum schreibe ich", mit diesem selbstreflektiven Prosatext Rose Ausländers beginnt Judith Kruder, "vielleicht, weil ich im vielsprachigen Czernowitz zur Welt gekommen bin". Als Deutscher kann man solche Worte nicht hören, ohne auch Gedanken daran im Sinn zu haben, was dann mit dieser lebendigen Kulturstadt geschah. Und wenn es später heißt, "wer hat mir den Regenbogen aus dem Blick gerissen", dann liegt darin sprachlich der Verlust allen Glücks verborgen.
Rose Ausländer verstand es, mit wenigen Worten eindrucksvolle Gedankenbilder zu schaffen. "Ich bin ohne Visum auf die Welt gekommen. Ich brauche ein Visum nach Liebe" schreibt sie und diese Zeilen sind aktuell wie für die heutige Zeit geschrieben. "Das Leben spielt mich. Es hat mir eine Krone geschenkt. Ich kaufte dafür ein Königreich aus Worten". Darin liegt Liebe zur Sprache ebenso wie ein zuversichtlicher Blick auf das Leben.
Judith Kruder und David Schliesing lesen ruhig, nehmen sich hinter den Texten zurück, lassen diese für sich wirken. Auch die traurigen, in denen Rose Ausländer einen Todesmarsch bei minus dreißig Grad beschreibt, auf dem ihre alte Tante erfror. Mit ihren Worten erschafft sie Poesie, die etwas sehr beklemmendes hat:
Sie kamen
mit scharfen Fahnen und Pistolen
schossen alle Sterne und den Mond ab
damit kein Licht uns bliebe
damit kein Licht uns liebe
Da begruben wir die Sonne
Es war eine unendliche Sonnenfinsternis
Die Lesung wird begleitet von Jerzy Bojanowski, mit Klezmerklängen auf der Klarinette und swingenden Melodien am Klavier. Gefühlvolle Musik, welche die Texte untermalt, etwa die, in denen Rose Ausländer über ihre Zeit in New York schreibt, als "eine Stadt, in der acht Millionen Menschen an einem sonnigen Morgen schlafen".
Immer wieder scheinen Anklänge von Leben und Tod durch die Texte. Unter dem Eindruck übrig geblieben zu sein, schreibt sie: "Wir essen das sterbliche Leben, das uns verzehrt". "Wenn der Tisch nach Brot duftet, denken wir an den Raum voll Rauch".
Wenn der Tisch nach Brot duftet
Erdbeeren der Wein Kristalldenkt an den Raum aus Rauch
Rauch ohne GestaltNoch nicht abgestreift
das Ghettokleidsitzen wir um den duftenden Tisch
verwundert
daß wir hier sitzen
"Mein Vaterland ist tot. Sie haben es begraben im Feuer. Ich lebe in meinem Mutterland Wort" schreibt sie. Das Nicht-sicher-sein begleitete Rose Ausländer auch in ihrer Zeit in Amerika, etwa wenn sie es als einen "Alptraum mit Ku-klux-clan-Männern in Kapuzen und mit Hakenkreuzen" beschreibt. Aber es gibt immer auch hoffnungsvolle Ausblicke:
Mein Herz kann mit der Zeit, der bösenm brechen
und mit den Dingen wie mit Engeln sprechen
oder auch
Buchstaben haben mir den Krieg erklärt.
Ich erkläre ihnen den Frieden.
In den letzten zehn Jahren ihres Lebens zog sich Rose Ausländer zurück, mied jeden Kontakt mit Fremden, konzentrierte sich nur noch aufs Schreiben: "An einer Straße ein einziges Haus. In dem Haus eine einzige Wohnung. Mit einem einzigen Fenster. Dort wohne nur ich. Wir kommunizieren über Flaschenpost."
Etwa 2000 Seiten umfasst Rose Ausländers Gesamtausgabe. Wie kommt die Auswahl der Texte zustande, frage ich nach der Lesung. "Das war nicht einfach", sagt David Schliesing. "Ich hatte mir das Gesamtwerk gekauft, Judith immerhin auch fünf Bände, dann haben wir sortiert, mussten feststellen, dass hundert Gedichte immer noch zu viele für eine Lesung sind, hatte dann aber auch jeder unsere besten Gedichte zusammen". Angesichts dieses Aufwandes hätte man sich mehr Zuhörer gewünscht. Ich jedenfalls habe die Gedichte von Rose Ausländer für mich entdeckt. Auf Lyrikline.org gibt es eine kleine Auswahl, gelesen von der Autorin selbst.
Aus Düsseldorf kam Elisabeth Bethge nach Hohenerxleben. Sie hatte noch persönliche Erinnerungen an die Dichterin. "Nein, persönlich getroffen habe ich sie nicht mehr", berichtet sie, "zu der Zeit hatte Rose Ausländer ihr Zimmer im Nelly-Sachs-Heim schon lange nicht mehr verlassen und wollte auch keinen Besuch haben. Aber sie signierte einer Freundin und mir zwei Gedichte von ihr". Kopien der beiden Gedichtblätter hatte sie zur Lesung mitgebracht.
Die Lesung wurde von den Beteiligten ohne Gage durchgeführt, alle Einnahmen kamen dem Unterhalt des Schlosses zugute.
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