Ihren "Plötzkyer Plauderkreis", den 25. übrigens, nutzte Maria Meussling heute mal in eigener Sache: sie zog ein Resümé über die etwa 60 Jahre ihres Berufslebens, in denen sie als Restauratorin tätig war und ihre Spuren vor allem in Mitteldeutschland hinterlassen hat. In Kirchen ebenso wie in öffentlichen Einrichtungen und bei privaten Besitzern von Kunstwerken.
"Heute sind wir viele, da können wir doch zu Beginn singen", begrüßte sie die Besucher in der kleinen Marien-Kapelle in Plötzkys Kirche St. Maria Magdalena. "Die Gedanken sind frei" hatte sie ausgesucht, den Text gab es aus kleinen Mini-Liederbüchern, und das Lied konnte auch als Sinnspruch für ihr Leben stehen. Im Anschluss gab es ebenso freie Gedanken Ihres Mannes Rüdiger Meussling, Pfr. i. R., der über die Unendlichkeit der Schöpfung sprach, über das viele, das man gedanklich gar nicht alles erfassen, sondern nur glauben kann.
Eine Bibel mit Latex-Farbe
Dann war Maria Meussling mit ihrem Vortrag an der Reihe, setzte sich dazu an den Laptop und zeigte auf der Leinwand Beispiele ihrer Arbeit. Die Restauratorin, Jahrgang 1942, sprach über die Anfänge ihres Berufslebens (sie hatte Restauratorin als Lehrberuf gelernt), die Einrichtung ihrer ersten Werkstatt und die ersten Arbeiten. Eine alte Bibel etwa, deren Einband mit weißer Latexfarbe gestrichen war. "Stück für Stück musste ich die Farbschichten entfernen, bis sie wieder schön aussah", sagte sie.
Häufig aber waren es Bilder und Schnitzarbeiten aus Kirchen der Umgebung. Aus Kirchen wie die in Pretzien und Plötzky. Die vielen restaurierten Kunstwerke bezeichnete sie als "Schätze, die kaum jemand kennt". Madonnen und Altäre, Kirchenbilder und Ikonen, aber auch weltliche Malerei. Erzählen konnte sie zu allen Kunstwerken ohne Ende, sie musste sich wohl selbst bremsen, um den Abend nicht zu lang werden zu lassen. Dabei gab es viele interessante, ja sogar vergnügliche Anekdoten. So wie die von einem Bild, das in einem Ehestreit zerschnitten wurde und zur Goldenen Hochzeit wieder restauriert werden sollte. Der Ehemann hatte diese Reparatur ohne Wissen seiner Frau in Auftrag gegeben. "Schaffen Sie das in der kurzen Zeit", fragte er. Maria Meussling schaffte es, und am Ende stand ein glückliches Ehepaar, beide sehr gerührt über diese Reparatur.
Oder ein mehr als 200 Jahre altes Abendmahlsbild einer kleinen Kirche, das restauriert werden sollte. Zur Eröffnung kamen viele aus dem Dorf, der Männerchor sang. Maria Meussling warf das Bild auf die Leinwand und sagte, "ich schaute in die Runde der Leute, dann auf das Gemälde und wieder zurück – die Leute im Chor sahen so aus wie die auf dem Bild im Kreis sitzenden".
Unwägbarkeiten von Denkmalen
Wer Bilder, Skulpturen oder ganze Kirchen restauriert, der kommt unweigerlich in Kontakt mit dem Denkmalschutz. "Ganze Aktenreihen mit Dokumentation der Restaurierung habe ich in meiner Werkstatt", sagte Maria Meussling und berichtete von Aufträgen, bei denen der Denkmalschutz genau hinschaute, des kulturellen Wertes wegen oder auch mal, weil der Auftraggeber den Antrag beim Denkmalschutz vergaß. Eine geschnitzte Madonna war für sie etwas ganz besonderes: als beim Reinigen der Skulptur Farbe und Goldschichten hervorkamen und die Figur förmlich zu leuchten begann.
Pfarrer Christian Thorschmidts Bildnis
Mitunter ergeben sich wundersame Wege, auf denen die Aufträge zu ihr kommen. Etwa das Bildnis von Christian Thorschmidt (1688 - 1750). Für die Leute aus Plötzky und Umgebung (auch für mein Heimatdorf Elbenau) gelangte der ehemalige Plötzkyer Pfarrer zu einiger Bedeutung. In seinen nur drei Jahren in Plötzky schrieb und veröffentlichte er 1725 die in Latein geschriebene Chronik Antiquitates Plocenses et adiunctarum Prezzin et Elbenau. (in deutscher Übersetzung und mit Anmerkungen versehen: Martin Jordan: Altertümer von Plötzky, Prezzien und Elbenau).
Nachfahren von Thorschmidt sind später nach Amerika ausgewandert und noch heute gibt es dort eine mehrere hundert Mitglieder große Familie Thorschmidt. Einige der Thorschmidts kamen auf der Suche nach ihren Wurzeln auch nach Plötzky – und nach Annaburg, Thorschmidts letzter Wirkungsstätte. Dort stand irgendwo auf dem Kirchenboden ein altes Bildnis von ihm. Die Familie sammelte Geld und Maria Meussling wurde mit der Restaurierung beauftragt. Zu Meusslings Bildbeispielen gehörte auch ein Foto eines der heute lebenden Thorschmidts neben dem restaurierten Gemälde: "Schaut mal hin, da sieht man doch tatsächlich auch jetzt noch Ähnlichkeiten"
Altäre, Reliquien und Kirchenmäuse
Über einen Altar, der seltsam zerfressen und angeknabbert aussah, konnte Maria Meussling berichten, dass sich beim Öffnen eine ganze Mäusefamilie in alle Richtungen zerstreute. Überhaupt war auf den Fotos zu sehen, wie verschmutzt manche Werke waren, etwa ein Bild, über dem eine Eule ihren Sitz auf dem Kirchboden hatte. "Da habe ich mit Schutzmaske den Kot entfernt". Ein restaurierter Katharinenaltar hängt im Aschersleber Museum. Bei diesem offenbarte sich etwas besonderes: "Mir fiel ein knopfförmiger Punkt auf dem Körper von Katharina auf. Als ich dran zug, fiel ein Tuch heraus, das von der dunkelbraunen Farbe her wie mit Blut getränkt aussah." Eine Blutreliquie, wie sie erklärte, die dann auch wieder sicher im Altar verwahrt wurde. Der Altar stammte, was ebenso wie die Verbindung zur heiligen Katharina zum Blut passte, aus einem Krankenhaus in Aschersleben.
Aber auch von besonders wertvollen Werken berichtete Maria Meussling. Etwa von einem Altar aus einer Dorfkirche, an dem noch Cranach mitgemalt hatte. Nach der Restaurierung wurde zweimal versucht ihn zu stehlen. Erst nachdem die Glocken der Kirche an die Alarmanlage angeschlossen wurden, um im Gefahrfall das ganze Dorf zu wecken, gab es keinen erneuten Diebstahlsversuch. Bei einem Bild, das sehr nach einem Selbstbildnis Rembrandts aussah, riet sie dem Besitzer, es in Holland begutachten zu lassen.
Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende
Die Zahl der restaurierten Werke konnte Maria Meussling nicht mehr angeben. Aber auf die Frage nach dem jüngsten und dem ältesten restaurierten Werk hatte sie eine Antwort parat. "Das neueste Werk ist wohl ein zwei mal drei Meter großes Wandgemälde von Günther Zenker aus dem Barbyer Maizena-Werk, gemalt auf ganz schlechter Spanplatte, aber künstlerisch durchaus reizvoll". Die Restaurierung war sehr schwierig, aber am Ende doch erfolgreich, wie sie mit dem Foto des sonnengelben Bildes mit Mais und Arbeitern zeigte. Jetzt hängt das Bild im IMuset, dem Schönebecker Technikmuseum. Und das älteste Bild? "Das ist wohl ein 2000 Jahre altes Stück eines Wandgemäldes aus Pompej, das jemand aus Gommern zur Restaurierung brachte". Auf die erstaunten Blicke fügte sie hinzu, "das kam schon um 1920 hierher, damals war das noch erlaubt".
Inzwischen restauriert Maria Meussling nicht mehr. "Mein letztes Bild ? Das war eines von Tizian, ein seltenes Gemälde, das einem Schönebecker gehört". Wenn sie auf ihre 60 Jahre als Restauratorin zurückblickt (von 1960 bis 1963 erlernte sie diesen Beruf), dann stellt sie zufrieden fest: "Ich habe schöne Aufträge gehabt, und habe bei keinem aufgegeben. Jeder Altar, jedes Bild war etwas einzigartiges."
"Das einzige, was Maria noch restauriert, das bin ich", meldete sich Rüdiger Meussling zu Wort. Und wer ihn kennt weiß, dass er auch in seinem hohen Alter um kein Wort verlegen ist und immer für einen Witz oder eine gute Geschichte zu haben ist. Bevor noch ein Frühlingslied aus den kleinen Liederbüchern gesungen wird, erzählt er deren Geschichte. Die Büchlein im A7-Format mit den Texten von Volks- und Kirchenliedern (ähnlich wie heute die "Mundorgel") wurden heimlich in einer Zeit gedruckt, als der Staat die Hoheit über alle Druckerzeugnisse hatte. "Am Sitz des Bischofs in Magdeburg gab es eine Druckerei, da haben wir dann mal nachts die Druckerpresse angeworfen", berichtete er.
Die Besucher des Abends kamen nicht nur aus Plötzky, sondern aus vielen Orten der nahen und ferneren Nachbarschaft, aus Pretzien, Prödel, Dornburg, Schönebeck, Calbe und Lühe. Einige auch aus Orten, in denen beide Meusslings ihre Spuren hinterlassen haben, denn beide zusammen haben auch noch hier und dort Kirchen gerettet. "Wir brauchen noch Geld für unseren Dachschaden" war ein beliebter Spruch nach den Pretziener Sommer-Konzerten, wenn am Ende Geld gesammelt wurde. Aber das ist schon wieder eine eigene Geschichte. Mit Geschichten endete auch der Plauderkreis, denn viele blieben noch eine Weile zum Erzählen.
Lieber thoralf.da hast du einen sehr schönen artikel geschrieben. Nur ganz zuletzt schreibst du: Restaurstrorrestaursteurin
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[x] Korrigiert.
LöschenBzw. vereinheitlicht, denn laut Duden sind beide Begriffe gültig. Allerdings ist Restaurator/Restauratorin üblich, Restaurateur/Restaurateurin veraltet. Ist mir sprachlich irgendwie durchgerutscht.
Danke für die Zusammenfassung.
AntwortenLöschenSchade dass ich die Veranstaltung verpasst habe.
Ich schätze beide sehr