So oft kommt es nicht vor, daß Christo ein großes Projekt realisiert, noch dazu in Europa. Das letzte (und, nunja, eigentlich das bisher einzige) Projekt von Christo und Jeanne-Claude, das wir uns ansahen, war der verhüllte Reichstag. Bereits als ich von den Plänen für
The Floating Piers hörte, entstand der Plan, dort müsse man unbedingt hinzufahren. Etwas verrückt zwar, nur für ein Kunstwerk hin und zurück insgesamt etwa 2300 Kilometer mit dem Auto zurückzulegen. Aber letztlich haben wir es wirklich getan: gemeinsam mit Lina und ihrem Kommilitonen Felix mit dem Auto über die Alpen... Start am Dienstag am späten Nachmittag, kurzer Zwischenstop in Tharandt, und dann die Nacht durch abwechselnd am Steuer gesessen. Ankunft am Mittwochmorgen um 7:30 Uhr in Iseo. Nach Sulzano wurden Autos gar nicht erst durchgelassen (dort gibt es keine Parkplätze). Also auf einem der Großparkplätze in Iseo geparkt, von dort ging es etwa 5 Kilometer auf einem schmalen Wanderweg hoch über der schmalen Küstenstraße nach Sulzano. Zwischendurch boten sich immer wieder schöne Aussichten auf den See – und auch auf die orange leuchtenden Stege, als optischer Vorgeschmack.

Unser Plan sah vor, gleich morgens in Sulzano anzukommen, bevor sich die Menschenmassen auf den Weg machen. Dummerweise waren auch andere auf diese Idee gekommen. So stießen wir in Sulzano auf eine große Menschentraube, die nur stückchenweise weiterrückte. Anstehen, warten, "nur noch bis da vorn" denken und dann, um die Ecke kommend erkennen müssen, daß die Schlange doch noch länger ist. Am Ende waren es dann drei Stunden Wartezeit. Später war nachzulesen, daß am Mittwoch gemeinsam mit uns noch weitere 100.000 Besucher nach Sulzano gekommen waren.
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Das ist nur der vorletzte Abschnitt der Warteschlange.
An der Stelle hatte man es fast geschafft. Insgesamt war
die Warteschlange am Mittwoch etwa 400 Meter lang. |
Mittags um zwölf angekommen auf dem orangem Pfad übers Wasser. Schuhe ausziehen, barfuß den Untergrund fühlen. Den von der Sonne aufgeheizten, in warmen Licht leuchtenden Stoff, den leise in den Wellen des Iseo-Sees schwankenden Pontonsteg unter den Füßen.
Erst einmal einfach dasitzen und das Licht genießen: die unterschiedlichen, von sonnengelb nach orange variierenden Farbtöne der Stoffbespannung vor dem blauen Wasser, in dem sich grün die nahen Berge spiegelten. Auf dem Steg sitzend oder liegend fühlte sich die Bewegung des Stegs an wie das Atmen eines großen Tieres.
Durch den zum Wasser hin flach abfallenden Rand fügten sich Christos Stege harmonisch in die Seelandschaft ein, hatten nichts mit herkömmlichen Bootsstegen zu tun, sondern schienen sich insgesamt nur wenige Zentimeter über das Wasser zu erheben. Dazu kam die optische Wirkung des aus Kunststofffasern gewebten Stoffes. Dieser veränderte seine Farbe je nach Richtung des Lichteinfalls. Dazu kam noch die Wirkung der Falten, in die der Stoff gelegt wurde, die beim Laufen an leichte Wellen oder Rippel des Wassers denken ließen.
Und die vielen Leute? Auch wenn in einigen Berichten etwas von "Ameisenstraße" zu lesen war: die vielen Leute auf dem Steg störten den Eindruck von Christos Projekt nur wenig, so ruhig, gelassen und heiter war die Stimmung. Und etwas abseits des Hauptsteges ließen sich auch weniger belebte Stellen finden.