39 Minuten dauerte der nächtliche Bombenangriff, der am 16. Januar 1945 die Magdeburger Innenstadt endgültig in Schutt und Asche legte. Das Datum war seit Gründung des Forum Gestaltung Anlass für jährliche Gedenkkonzerte, immer auch im Hoffen, fürderhin keine neuen derartige Gedenktage entstehen zu sehen. Eine Illusion.
So schrieb Norbert Pohlman in der Einladung zum diesjährigen Gedenkkonzert, dass in diesem Jahr anders gestaltet wurde als in den vergangen Jahren, mit Lesung und Musik.
Musik: [hanse]Pfeyfferey mit
Alexandra Mikheeva – Renaissanceposaune
Aleksandra Maglevanaia – Viola da Gamba
Lesung:
Norbert Pohlmann
Mohammad Issa
Norbert Pohlmann stellte die beiden Musikerinnen von der Hanse-Pfeyfferey vor, die die Tradition der in vielen Städten heimischen "Stadtpfeifer" wiederbeleben, welche in der Renaissance mit ihrer Musik das Stadtleben begleiteten. "Als sich vor zwei Jahren, im Februar 2022, die Situation rund um die Ukraine zuspitzte, hatte ich die Musikerinnen eingeladen, vom Turm der Johanniskirche aus Friedenssignale auszusenden. Als wir dafür als Termin den 25. Februar vereinbarten, wussten wir noch nicht, dass dann einen Tag davor der Krieg tatsächlich beginnen würde." Für diesen Krieg kamen wir zu spät, sagte Pohlmann und beklagte "dieses ewige Zuspätkommen der Menschen", wenn es um Frieden geht. "Vielleicht tragen unsere Gedanken aber etwas dazu bei, weiter darüber nachzudenken."
Nach den ersten Musikstücken, Renaissancemusik von Komponisten wie Orlando die Lasso, für Gambe und Posaune arrangiert, begann Norbert Pohlmann, seinen Essay über das "Nie wieder" zu lesen. Über den Spruch, der ihn seit der Kindheit begleitet, sich in ihm verinnerlicht hat. "Nie wieder Krieg, hörte ich in der Schule, höre ich auch von meiner Mutter. Nie wieder Krieg, dann lieber trocken Brot." Pohlmann spricht über Bilder aktueller Kriegslandschaften, die nicht von einer KI kommen, sondern – leider – nur zu echt sind.
Mohamad Issa, 2015 aus Syrien nach Magdeburg gekommen, das inzwischen sein Zuhause ist, setzt die Lesung mit seinen Erinnerungen fort, mit seinen Gedanken über Krieg und Frieden. "Wann begann der Krieg", fragt er und erinnert an den Alltag in Syrien unter dem Diktator Assad. "Begann der Krieg, als mein Cousin ermordet wurde? Begann er, als Verwandte und Bekannte Opfer wurden?" fragte er, an ihm bekannte persönliche Geschichten erinnernd. "Nein, ich habe mein Land nicht aus Feigheit verlassen, ich bin nicht vor dem Tod davongelaufen", sagte er, "ich habe das Leben gesucht. Den Krieg muss man bekämpfen, in jedem Land".
Dann folgte eine Lesung aus dem 2023 erschienenen Buch der russischen Journalistin Katerina Gordeeva Nimm meinen Schmerz. Geschichten aus dem Krieg. Gordeeva hat darin 24 Interviews mit Überlebenden des Krieges in der Ukraine wiedergegeben. "Mich hat das Buch erschüttert", sagte Norbert Pohlmann und las daraus einige der Berichte. Geschichten über die Wunden, die der Krieg hinterlässt, körperlich und seelisch. Geschichten wie die von einer schwangeren Frau, die auf der Flucht zwischen der Front Mann und Kind verliert. wie die eines Mannes, der nach den Kämpfen nicht mehr weiterleben kann.
"Sie werden von dieser Veranstaltung keine frohen Botschaften erwartet haben", sagte Pohlmann am Ende, "aber nehmen Sie die Kraft mit, die in der heute gehörten Musik steckt". Die Musik war es auch, die zwischen den einzelnen Lesungen Ruhepunkte setzte. Langsam und ruhig gespielt, mit dunklen Klängen der Gambe und der ebenfalls angenehm warm klingenden Renaissanceposaune.
Als die Musik verklang und die Gäste auf die Straße oder den Innenhof des Forum Gestaltung traten, war es 21:28 Uhr. Alle Kirchenglocken der Stadt begannen zu läuten. Vor 79 Jahren begann zu genau dieser Zeit die Bombardierung Magdeburgs.
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