Als Auftakt zum Festival-Freitag gab es für uns das Konzert von Wenzel und Band auf der Heidecksburg. Der obere Burghof war voller Leute - das ist bei einem 13-Uhr-Konzert alles andere als gewöhnlich. Aber ein Konzert von Wenzel bekommt man ja auch nicht alle Tage (naja, wir scheinbar schon...). Es gab Lieder aus seiner aktuellen CD, aber auch älteres. Leise Liebeslieder (wie „Komm zu mir und halt mich wach“) ebenso wie laute, zum mitsingen geeignete (wie „immer nur das gleiche“) und spätestens bei diesen schnellen Titeln hatte Wenzel sein Publikum im Bann. Das sang laut mit, auch wenn das Konzert erst beim letzten Stück vom Sitz- zum Stehkonzert wurde.
Wie üblich bei Wenzel packte er politische Botschaften in sein Programm. Ob es nun „Stacheldraht, Elektrozaun“ als neues Symbol für Europa war oder die Anmoderation zu seinem „Taiga-Lied“ („Man braucht den Russen als Feind. Ursula von der Leyen hat mir viel Geld versprochen, wenn die Hippies in Rudolstadt Angst vor den Russen bekommen“).
Wenzels Blick auf die Welt kommt von innen genauso wie von außen („man kann ein System nicht analysieren, wenn ma von außen kommt“). Aber vor allem ist sein Blick auf die Welt ein ehr poetischer.
Im Anschluss an das Wenzel-Konzert ging es auf der Burgterasse weiter, dort spielte Mari Kalkun & Runorun aus Estland. Der unmittelbare Wechsel zwischen Burgbühne und Burgterasse ist schwierig, weil dann alle Plätze auf der dortigen Tribüne und der Wiese davor bereits besetzt sind. Deshalb mußte ein Blick über die Mauer der Treppe ausreichen. Die estnischen Gesänge erinnerten n finnische Joiks. Betörend ruhige und einfache Klänge von menschlichen Stimmen und der Kantele, der estnischen Laute.
Das Stahlquartett war für uns eine zufällige musikalische Entdeckung. Dessen auf großen Konstruktionen aus Blech und Stahlstäben aufgebaute Instrumente erinnerten an geblähte Segel mit seitlichen Antennen oder an Skelette urzeitlicher Tiere aus Stahl.
Die Musiker streichen die Stahlstangen, ab und zu auch die Bleche, mit Bögen. Mit Bögen, die nichts mit Streicherbögen gemein haben, sondern eher an deren Original, an Jagdbögen erinnern. Dabei entstehen eigenartig sphärische Klänge. Das erste Musikstück erinnert an Bach, aber an einen sehr langsam gespielten. Es dauert eben seine Zeit, bis sich die Schwingungen im Material aufschaukeln - das müssen die Musiker beachten. „Wir spielen, als würden wir die Musik unters Mikroskop legen“, erklären sie. Egal ob es finnische Klänge aus dem 16. Jahrhundert oder ein Jazz-Stück von Wayne Shorter ist (bei letzterem ist ein 12sekündiges Thema auf 3 Minuten gestreckt), alles klingt sehr Entschleunigung. Leise schwebende Klänge füllen den Saal. Später kommt noch Obertongesang hinzu.
Die Musik klingt zuweilen, als wäre sie der Soundtrack zu Science-Fiction-Filmen. Man fühlt sich bei den kräftigeren Stücken wie in das Innere einer unbekannten riesigen Maschine versetzt, die leise atmet.
Die Stadt ist voller Leute. So wie in der Mangelgasse, die eigentlich Instrumentengasse heißen müßte. Hier reiht sich ein Instrumentenstand an den anderen. Die Festivalbesucher nutzten die Möglichkeiten, Instrumente zu probieren oder mit den Instrumentenbauern zu sprechen. Und hier und da waren daraufhin an den Ständen kleine, improvisierte Konzerte zu hören.
Jens-Paul Wollenberg, schon zu DDR-Zeiten Bürgerschreck iund Anarchopoet, spielte auf dem Neumarkt. In der Anmoderation wurde aus auch darüber gesprochen, daß er in der DDR stets Spitzel um sich hatte, bis zu 23. Und einer soll tatsächlich geschrieben haben: „Wollenberg singt mit so subtilen Botschaften, als wären Spitzel im Saal“. Wollenberg wird später auch auf dieses Thema zurückkommen, wenn er sagt, „das Spionieren nimmt kein Ende, das ist ein Weltkulturerbe“.
Wollenbergs Lieder klingen mal im Tangorhythmus, mal als französische Musette. Und eigentlich singt er sie auch nicht, sondern deklamiert sie als eine Art Sprechgesang. Und er hat dabei oft sehr derbe Texte. Was scheinbar als Kinderlied daherkommt, hat einen rabenschwarzen Text, in dem er über ein Volk von Ratten singt.
Es sind auch alte Texte von ihm im Programm (wie lachen weinen rufen / irren, warten suchen / Tränen in wilden Nächten / treffen sich mit fremden Mächten). Von Wollenberg hatten wir schon vor Jahrzehnten gehört, ihn später auch mal live gesehen. So in Magdeburg im Volksbad Buckau. Und beim TFF Rudolstadt war er vor einigen Jahren mit einer Lesung von Texten von Daniil Charms zu erleben. Damals mit einer Flasche Wodka auf dem Tisch („Wer es nicht glaubt, kann vorkommen und kosten“ - und am Ende der Lesung war die Flasche leer.) Diesmal war es nur eine Büchse Bier - auch Anarchopoeten kommen in die Jahre. An der Kraft des Wollenbergschen Ausdrucks hat das nichts geändert. Der hagere Sänger mit seinem vollen Haar und Bart steht nach wie vor auf der Bühne und sagt, „es schläft das Herz so liberal am rechten Fleck, doch heute hab ich Lust zu rebellieren“. Zusammen mit seiner Band Pojechali, deren Namen er der Übersetzung aus dem russischen nach als Trinkspruch sieht: Pojechali heißt soviel wie „Laßt uns aufbrechen“. In diesem Sinne: Pojechali!
Auf dem Weg wieder rauf zur Burg ein kurzer Blick und ein paar Töne von Shivkumar & Rahul Sharma. Die indische Band spielt die typischen Ragas und verbreitet fernöstliche Stimmung.
Auf der Großen Bühne der Heidecksburg - und sehr gut besucht: das Konzert des Curly-String-Quartett aus Estland mit dem „Hausorchester“ des Festivals, den Thüringer Sinfonikern. Zusammen spielen sie Stücke, die zum Teil extra für diesen Abend komponiert wurden. Zu hören ist Folkmusik einer sehr erfrischenden Art. Nicht diese vom deutschen Fernsehen so verleidete volkstümliche Musik. Nein, die Musik erinnert eher an Big-Band-Sound oder leichten Jazz.
„Wir feiern in diesem Jahr das hundertste Jubiläum unseres Landes“, sagen die Musiker, „und wir sind sehr stolz darauf“. Diesem Jubiläum widmen sie auch das folgende Stück, das mehr einer Hymne gleicht. Auch der Text eines späteren Liedes („Why do you hurt me, why do you bring me away from my roots“) hat mit der Geschichte des estnischen Volkes, mit dessen Unterdrückung zu tun.
Ein fröhliches Lied („nothing else matters“) erzählt davon, dass einem alles egal sein kann, wenn man zu Hause sitzt und der oder die Liebste kommt und Tee mit Honig bringt. Die Sängerin erinnert mit ihrem Text daran, wie es früher auf dem Land war - und daß es dort das Problem gibt, dass (auch dort) die Jugend in die Städte zieht.
Voxid aus Leipzig beendete den Abend in der Innenstadt auf der Marktbühne. A-Capella (oder zumindest beinahe, denn die Sängerinnen und Sänger sangen zur eingespielten Musik) und perfekt gesungene englische Texte.
Großartig ging der Abend auf der Großen Bühe im Heinepark zu Ende: Solo aus Kanada spielte. Solo ist dabei nicht etwa ein einzelner Musiker, sondern ein gemeinsames Projekt zweier Bands, Le Vent du Nord und De Temps Antani. Dabei sehen die Bands „Solo“ auch als Wortspiel und Witz. Nicht nur, daß sie gerade nicht allein spielen, heißt in ihren Musikerkreisen „So lo“ soviel wie „Mach mal“. Und wie ein musikalischer Witz ist dann auch die Musik, zu der sie auf die Bühne kommen die von Star Wars (wo schließlich Han Solo eine wichtige Rolle spielt).
Ihre Musik ist eine, wie sie auch aus Irland kommen könnte, und sie reißt alle im Publikum auf Anhieb mit. Die Musiker sprechen angesichts des so oft zitierten globalen Dorfes (global village) davon, dass sie ganz im Gegenteil die Vielfalt an Villages für wichtig halten. „Wir sind stolz auf die Vielfalt an Kulturen, an Sprachen und Dialekten“, sagten sie. Gerade als Frankokanadier legen sie viel Wert darauf, um ihre französische Kultur zu erhalten. So ist auch das komplette Konzert auf französisch, lediglich die Moderationen zum Teil auf englisch. Denn die Französischkenntnisse im Publikum sind dann doch nicht so gut. Am Ende muss dann, wie einer der Sänger sagt, bei einem französischen Refrain ein „Minimal-Französisch reichen“ - gesungen wird dann La la la.
Die Musik der Kanadier ist mal tänzerisch kräftig, mal kommt ein Liebeslied als sanfter a-capella-Gesang. Immer aber authentisch und lebendig. Großartig! Ebenso toll ist auch ihre Bühnen-Performance. Die Instrumente, von Gitarre über Geige bis zur Drehleier, dazu Piano und Schlagzeug werden immer wieder getauscht und das mitunter ohne Pause zwischen den einzelnen Stücken.
P.s. Der Text wurde unterwegs am Tablet geschrieben und enthält daher garantiert Fehler. Diese werden erst zu Hause ausgemerzt.
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