Die Helsingør Domkantori in St. Thomas Pretzien |
Der Chor des Domes St. Olai im dänischen Helsingør war gestern bei der Europäischen Chornacht in Magdeburg zu Gast. Und weil die Sänger nicht nur für ein Konzert herkommen wollten, fragten sie kurzerhand in Pretzien an. Pretziens Pfarrer Michael Seils freute sich über diese Vorverlegung des Pretziener Musiksommers – und über ein Benefizkonzert für die Pretziener Kirche: der Chor sang ohne Gage, die Einnahmen kamen so in voller Höhe dringend nötigen Reparaturen der Kirche zu Gute. "Inzwischen gibt es einige Risse im Mauerwerk, um die wir uns dringend kümmern müssen", sagte er. In der Tat sind die Risse an der Ostseite der Kirche unübersehbar, da kam das Angebot des Chores gerade recht.
Der aus Schleswig stammende Sänger Jürgen Schoop, der später auch durch das Programm führte und einige der Texte auf deutsch zusammenfasste, begrüßte die Zuhörer mit "Liebe Freunde der Musik, liebe Gemeinde, liebe Europäer" und machte mit diesen wenigen Worten deutlich, wie sehr den Musikern an Europa gelegen ist, wie sehr Europa den kulturellen Austausch ermöglicht.
Auch in der Musik wurde deutlich, wie nah sich Dänemark und seine Nachbarländer sind. Yndigt dufter Danmark ("wie schön duftet Dänemark") des dänischen Komponisten Svend Simon Schultz (1913-1998) beschreibt den Duft des süßen Flieders und den Gesang der Nachtigall, und hätte auch ein süßes deutsches Volkslied sein können. Lieder der dänischen Romantik von J. P. E. Hartmann mit kräftigen mehrstimmigen Chorsätzen waren sowohl von dänischer Volksmusik wie auch von der deutschen oder französischen Romantik beeinflusst. In eine geografisch andere Richtung gingen die Madonnenlieder von P. E. Lange-Müller. Der Textdichter hatte sich dafür an der russisch-orthodoxen Kirche orientiert und stellte sich betende Menschen vor goldenen Ikonen vor. Der Gesang allerdings war dann an der europäischen Klassik orientiert. Es folgten romantische Liebeslieder ebenso wie Lieder, in denen Carl Nielsen die Einheit von Mensch und Natur in Musik umsetzte.
Dass Musik nicht unpolitisch ist, zeigte der Chor mit zwei Stücken aus der der Lorca-Suite von Einojuhani Rautavaara. Der finnische Komponist erinnert an das Schicksal Federico García Lorcas, der von Francos Faschisten ermordet wurde. Im Chorgesang erzählen die Baßstimmen vor einem stets wiederholten "Cordoba" (das Lorca aufsuchen wollte, aber nie erreichte) eine Geschichte, die von den hohen Stimmen der Frauen kommentiert wird. Sirenengesang gleiche Sopranstimmen verdeutlichen die Dramatik. Am Ende: Schweigen. Und auch das Publikum bleibt vor dem Applaus lange still.
"Ich will Sie aber nicht depressiv zurücklassen", sagt Dirigent Roland Haraldson im Anschluss und erläuterte das nächste Werk. Der zeitgenössische Komponist Per Nørgård schrieb Musik über eine Kombination von Texte von Adolf Wölfli und Rainer Maria Rilke. "Wölfli verbrachte lange Zeit seines Lebens wegen Schizophrenie in einer Nervenheilanstalt", sagte Haraldson, "und Schizophrene haben wohl einen ganz besonderen Sinne für alles was sie sehen". (Wölfli war daneben auch Maler, der ein interessantes zeichnerisches Werk hinterließ, in dem er Malerei mit Texten und Noten verknüpfte). Die Interpretation des dänischen Chores erinnerte in ihrer lautmalerischen Art an dadaistische Werke, wenn darin deutlich Rufe wie Fump! und Rrrums! zu hören waren.
Am Ende standen noch mal Lieder, deren volksliedhafte Melodien in Kontrast zu den (von Jürgen Schoop zuvor auf deutsch wiedergegebenen) teilweise dramatischen Texten standen. Als Zugabe erklang der "Sommarpsalm" von Waldemar Åhlén. "Dieses schwedische Lied hat mich seit meiner Kindheit begleitet", sagte Roland Haraldson, "es gibt es aber auch auf dänisch und deutsch". Der Chor sang dann auch die deutsche Fassung – diese hatte er tags zuvor in Magdeburg gemeinsam mit der Biederitzer Kantorei aufgeführt: Dem hellen Lied im Wiesengrund / dem dumpfen Waldesrauschen / dem kann man nun so manche Stund / mit aller Ehrfurcht lauschen. / Und Vogelsang / im Überschwang, / gewürzt durch Blütendüfte / erhebt sich in die Lüfte / Oh guter Gott wie ist Dir gleich / der lichte Sonnenreigen / Im Sommer willst Du gnadenreich / uns Deine Größe zeigen – das war nochmal Romatik in Text und Musik zum Abschluss des Konzerts.
Chorleiter Roland Haraldson (mitte) erläutert dem Publikum den Inhalt eines Werkes eines zeitgenössischem dänischen Komponisten. |
St. Thomas Pretzien mit den Wandmalereien aus dem 13. Jahrhundert |
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