Julie Sassoon – Piano
Lothar Ohlmeier – Bassklarinette, Saxophon
Meinrad Kneer – Bass
Rudi Fischerlehner – Schlagzeug
Die Band kam auf dem Weg von Bochum nach Berlin mit etwas Verspätung nach Gottesgnaden, musste wohl diesen kleinen, auf einer Saaleinsel versteckten Ort mit dem geheimnisvollen Namen erst finden. Gleich nach dem Auspacken der Instrumente (und dem Ausrichten des Klaviers, das auf dem rohen Betonfußboden des ehemaligen Stalls letztlich nur in leichter Schräglage eine kippelfreie Position fand) begannen die vier Musiker zu spielen, ohne Soundcheck. Der war auch nicht nötig, schließlich spielten die vier Musiker rein akustisch, ohne Verstärkung – was für ein Jazz-Konzert zwar etwas ungewöhnlich ist, aber andererseits ein ganz anderes, natürliches Hörgefühl mit sich brachte: eine Neujustierung der Ohren.
Das Konzert begann, anders als bei einem Klavierquartetts vielleicht erwartet, nicht klavierbetont, sondern zunächst nur mit leisen Tönen von Rudi Fischerlehner am Schlagzeug. Eine kleine Glocke imitierte ein Telefon aus analogen Zeiten, immer wieder leise klingelnd. "Nun geh' doch mal ran" wäre auch eine passende Bezeichnung des Titels ("clouds") gewesen. Julie Sassoon hielt sich anfangs zurück und ließ zart perlende Tonfolgen hören. Als dann aber Lothar Ohlmeyer mit seinem Saxophon hinzutrat, entwickelte sich nach und nach eine gewaltige Fülle an Klängen. Auch das nächste Stück, misscalled, war wieder deutlich vom Saxophon bestimmt, das von Klavier und Baß dröhnend begleitet wurde. Überhaupt erwies sich Julie Sassoon als sehr gefühlvolle Begleiterin der anderen Musiker, wenn sie etwa Lothar Ohlmeiers Klarinettensolo leise unterstützt oder den Meinrad Kneers Baß, der immer mal wieder im Solo sein Instrument zum Melodieinstrument machte. An solchen Stellen merkt man, wie gut die Musiker aufeinander eingespielt sind: wenn sich Saxophon, Schlagzeug, Baß und Klavier in wilder Dynamik zusammenfinden, das Klavier dabei eher zum Teil des Schlagzeugs wird. Wow!
Der Baß, der ja sonst meist eher im Hintergrund bleibt, bekam in to be ein langes Solo. Es war schon toll zu hören, wie Meinrad Kneer den Baß singen läßt, mit Folgen von Halb- und zum Teil auch ein wenig asiatisch klingenden Vierteltönen. Daraus entwickelt sich dann ein ruhiges Stück Musik, in dessen sehr leisen Passagen man sogar von draußen her die Vögel zwitschern hört und das in anderen Teilen immer noch kräftig genug ist, auch den Körper die Musik fühlen zu lassen.
Ein Stück des Konzertes (This one's a boy) stammte von Julie Sassoons Tochter. Oder vielmehr die Idee dazu: "Als kleines Mädchen lief sie in der Wohnung herum und sang endlos lange immer dieselbe Melodie vor sich hin. Etwa so", sagte Julie Sassoon und spielt ein paar einfache Tonfolgen, nicht viel mehr als ein Auf und Ab von Teilen einer Tonleiter. "Daraus mußte ich dann unbedingt etwas machen". In der Musik der Band tauchen diese Tonfolgen dann auch immer wieder auf, mal leise und in langen Klavierpassagen versteckt, mal laut und kräftig in Lothar Ohlmeiers Baßklarinette. Andere Stücke hatten dann wieder sehr komplizierte Strukturen, mit Rhythmen, die auch noch mittendrin das Tempo wechselten. Interessant und faszinierend, das nachzuvollziehen.
Eines der gegenwärtigen Projekte von Julie Sassoon beschäftigt sich mit Musik zu Bildern der deutsch-jüdischen Malerin Charlotte Salomon, die 1939 nach Frankreich emigrierte, von dort aber 1943 deportiert und in Ausschwitz ermordet wurde. Julie Sassoon, deren jüdische Großeltern vor den Nazis nach England fliehen konnten, hat Musik für eine Live-Performance über das Leben von Charlotte Salomon komponiert. Daraus gab es im Programm zwei Stücke. Leise, sehr leise Klavierklänge am Beginn, zu denen klagende Töne vom gestrichenen Baß und leises Schlagzeug hinzukommen, und ein Saxophon, das ähnlich einer Gesangsstimme eingesetzt wird, mal schreiend laut, mal nur mit leichten Atemgeräuschen im Blech des Instruments.
Vielleicht sind es diese Themen, ganz sicher auch die aktuelle Weltlage, die Julie Sasson zu ihrem Stück wake up call veranlasste, das am Ende des Programms stand. Ein Stück, in das nach leisen Tönen, die sie am Klavier leisem mit ihrer Stimme begleitet, kräftige vorwärts treibende Rhythmen eindringen, die die ruhigen Melodien immer wieder stören, so wie der alltägliche Lärm einer Großstadt.
Julie Sassoon hatte ich bereits zweimal bei den Magdeburger Jazztagen gehört, vor einem Jahr mit ihrem Quartett und vor zwei Jahren mit Willi Kellers. Da Gottegnaden nur 30 Kilometer entfernt liegt, stand fest, auch zu dem heutigen Konzert zu fahren. Es gab einen deutlichen Unterschied zu den beiden vorher gehörten Konzerten: im Magdeburger Forum Gestaltung und im Magdeburger Gesellschaftshaus hatte Julie Sassoon einen großen Konzertflügel zur Verfügung, der viel gewaltiger klang als das kleine Förster-Klavier in Gottesgnaden. Um so beachtlicher, dass sie auch aus diesem kleinen Instrument sehr viel rausholte. So jedenfalls der Eindruck, wenn man weiter vorn saß. Von Besuchern aus den letzten Reihen war zu hören, dass das kleine Klavier nicht so ganz bis dahin durchdrang. Im zweiten Set wurden dann noch die letzten Gehäuseteile des Klaviers entfernt, um eine noch freiere Klangentfaltung zu ermöglichen. Julie Sassoon spielte dann mit Blick auf Saiten und Hämmer.
Das Konzert wurde durch Ulrich Blobel von der Jazzwerkstatt organisiert, der wiederum Albrecht Ecke, Designer und Konzerveranstalter aus Potsdam und Bruder des Saalehof-Inhabers kennt. Auf diesem Weg gelang es, die vierköpfige Band auf die kleine Insel zu holen. Der Ort des Konzerts, ein ehemaliger Stall, harrt noch seiner Renovierung. Die Wände sind teils unverputzt, teils weiß (oder ehemals weiß) gekalkt. Man sieht dem Raum seine Geschichte an und auch eine Schwalbe scheint sich noch daran zu erinnern, hier früher über Kühen oder Pferden genistet zu haben, wenn sie über die Köpfe der Musiker hinweg flattert. Vielleicht machte diese ländliche Stimmung (der sonnige erste Mai mit seinem blauen Himmel und frühlingswarmen Temperaturen trug sicher auch dazu bei) den Auftritt in der Abgeschiedenheit dieses kleinen Dörfchens am Ufer der Saale auch für die Musiker zu einem Erlebnis. "Es ist ein Paradies hier", sagte Julie Sassoon nach dem Konzert.
Der Saalehof in Gottesgnaden. Pradisisch am Ufer der Saale gelegen. Von der Terasse blickt man auf die Silhouette von Calbe auf der anderen Seite des Flusses. |
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