Orgelmusik bis Mitternacht gab es an der Jehmlich-Orgel im Magdeburger Kloster unser lieben Frauen: Musik unterschiedlichster Stile, von Klassik über Klezmer bis zu freier Improvisation. Die Orgelnacht war Teil der Magdeburger Kulturnacht, die wie ein über die ganze Stadt
verteiltes Festival war. An vielen Orten in Magdeburg gab es Musik, Theater, Ausstellungen, Performances.
Wegen anderer Termine schaffte ich es erst gegen Ende der Orgelnacht ins Kloster, gerade als Sandra Schilling über Filmmusik-Themen improvisierte. Beschwingte Klänge, bei denen sie die Jehmlich-Orgel wie eine Jahrmarktsorgel klingen ließ – eine interessante Erfahrung, die Orgel so zu erleben. Dann wieder Dramatik, irgendwas aus Star Wars meinte ich herauszuhören, und am Ende nochmal der volle Klang einer Kirchenorgel.
Gleich im Anschluss standen der Domorganist Barry Jordan und der Saxophonist Warnfried Altmann auf dem Programm. Man sah Barry Jordan am Spieltisch der Orgel sitzen – doch die Töne kamen aus ungeahnter Richtung, von irgendwo weit hinten im Rücken der Zuhörer, aus den Tiefen des großen romanischen Kirchenschiffes. Warnfried Altmann steht dort mit seinem Saxophon, das er langanhaltend bläst, mit Klängen, die tatsächlich denen einer Orgel ähneln. Deutlich ist die Melodie des Chorals „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ herauszuhören. Nun antwortet auch Barry Jordan mit leisen Tönen der Orgel. Den Choral weiter spielend schreitet Altmann durch die Mitte der Stuhlreihen nach vorn, steht schließlich vor dem Orgelprospekt. Es entwickelt sich ein Wechselspiel zwischen beiden Musikern. Auf schreiend laute Saxophontöne antwortet Jordan mit kräftigen Akkorden.
Nach diesem lauten Part greift Altmann zu seinem Sopransaxophon, schickt damit, sich langsam drehend, Signaltöne in alle Richtungen des Raumes. Dann wieder ruhige Musik, leicht swingend. Orgelklänge, die in dieser späten Stunde zum Träumen einladen könnten, wäre da nicht Altmann, der, bevor es allzu sanft wird, auch mal dazwischen trötet.
Barry Jordan lotet die Klangvielfalt des Instrumentes aus, mischt die tiefsten Register mit den höchsten, das Dröhnen von Maschinengeräuschen mischen sich mit fiependen Tönen nahe der oberen Hörgrenze. Nach diesem großen Crescendo klingt das Konzert mit einer wichtigen Bitte aus, geäußert im Choral „Verleih uns Frieden gnädiglich“.
Etwas zur Konzerthalle:
Die Orgelnacht war für mich auch der erste Besuch in der Konzerthalle nach deren Umbau. Der Bereich der Vierung ist nun gegenüber dem Fußboden der Kirche um etwa einen Meter erhöht. Aus Beton gegossen ist eine große Bühne entstanden, zu der über die gesamte Breite des Kirchenschiffes Stufen hinaufführen. Die alten, mit Stoff bespannten Holzstühle (die ich vom Aussehen her sehr schön fand, die aber bei längerem Sitzen bald unbequem wurden) wurden durch moderne Stühle ausgetauscht. Neu ist auch, dass die Krypta unter der Orgel zugänglich gemacht wurde. Hell ausgeleuchtet, sieht man in ihr die Nachbildung der Grablege von Norbert von Xanten, der das Kloster einst weihte. Enttäuscht war ich über das sehr schlechte Licht in der Konzerthalle. Zur Beleuchtung der Bühne (und damit auch der Orgel) dienen wie zuvor zwei am Deckengewölbe befestigte Natriumdampf-Strahler. Die Lampen mit ihrem orangen, nahezu monochromen Licht sind zwar die effizientesten Lampentypen, taugen aber nur zur Straßenbeleuchtung. Ärgerlich, dass niemand an den Austausch dieser Lampen gedacht hat. Sorry, den Fotos sieht man leider das miserable Licht an.
Etwas zur Orgel:
Die Orgel wurde etwa an der Stelle des früheren Altars aufgebaut, wurde bewusst so in jetzigen Konzertsaal plaziert, dass sie die komplette Front ausfüllt und der Organist für die Konzertbesucher sichtbar am Spieltisch sitzt. Es ist immer wieder schön ihm zusehen zu können, wenn auch nur aus der Ferne, wie er die Orgel bedient, die Register betätigt und wie sich der Klang der Orgel dabei ändert.
Am 21. September 1979 wurde die Orgel aus der Werkstatt der Orgelbaufirma Jehmlich Dresden in der Konzerthalle „Georg Philipp Telemann“ im Kloster Unser Lieben Frauen zu Magdeburg der Öffentlichkeit übergeben. Die Orgel mit der Seriennummer 1000 hat 62 Register, vier Manuale und ein Pedal. Damit werden die knapp 5400 Pfeifen angesteuert. Die größten Pfeifen, im Orgelprospekt zu sehen, sind die über 5 Meter langen 16-Fuß-Pfeifen, die kleinsten messen nur wenige Zentimeter.
Der Erbauer der Orgel, Horst Jehmlich, war bei der Orgelnacht selbst für kurze Orgelführungen anwesend.
Das vollständige Programm der Orgelnacht umfasste:
19.00 – 19.45 – Charles-Marie Widor: Orgelsymphonie Nr. 7
Barry Jordan (Orgel)
19.45 – 20.00 – Kurzvortrag zur Orgellandschaft Magdeburgs
Winfried Willems
20.00 – 20.30 – Von Bach und Mozart bis Swing und Klezmer
Roland Kähne (Klarinette ) & Kerstin Hansen (Orgel)
20.30 – 21.00 – Orgelführung
mit Orgelbauer Horst Jehmlich
21.00 – 21.30 – Barocke Kompositionen für Piccolo-Trompete und Orgel
Günter Schaumberger (Trompete) & Cora Hornung-Schaumberger (Orgel)
21.30 – 22.00 – Orgelführung
mit Orgelbauer Horst Jehmlich
22.00 – 23.00 – Soloimprovisationen über Filmmusikthemen u.a.
Sandra Schilling (Orgel)
23.00 – 24.00 – Improvisationen im Duo
Warnfried Altmann (Saxophon) & Barry Jordan (Orgel)
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