Freitag, 30. Juni 2023

Agnes Schulz: Fotos auf dem Schrottplatz

Heute wurde im Kunst-Kontor Schönebeck die Ausstellung von Agnes Schulz eröffnet. Die Schönebecker Fotografin ist seit vielen Jahren auf dem Schrottplatz in Frohse unterwegs und findet vor allem dort ihre fotografischen Motive. 

Frank Pudel und Agnes Schulz

Die Vernissage wurde von Frank Pudel eröffnet, der auch den Katalog zur Ausstellung gestaltete. Die Laudatio durfte diesmal ich halten. Musik zur Vernissage gab es von Elke Meyer und Elke Lindau. Auf ihren Blockflöten spielten sie moderne Stücke, die die klanglichen Möglichkeiten der Flöten über das beim klassischen Spiel übliche hinaus ausloteten und auch die Stimme einsetzten und auch einige humorvolle Aspekte boten. 

Neben den Fotografien gab es auch einige grafische Arbeiten von Agnes Schulz zu sehen, bei denen Sie mit Fineliner Strukturen auf Papier erarbeitete. Die Ausstellung zeigte einen kleinen Ausschnitt aus den Arbeiten der 1950 im Erzgebirge geborenen und 1994 nach Schönebeck gekommenen Fotografin. Etwas mehr von ihr gibt es im sehenswerten Katalog, den Frank Pudel gestaltete. Galeristin Susanne Kalisch hat sich für ihre Galerie vorgenommen, nicht nur Kunst auszustellen, sondern auch Kataloge zu den Ausstellungen herauszugeben.

Elke Lindau und Elke Meyer
Frank Pudel bei der Ausstellungseröffnung
Thoralf Winkler bei der Laudatio

Laudatio auf die Fotografin Agnes Schulz

Es ist schön, dass wir uns hier treffen, um die neue Ausstellung im Kunst-Kontor zu eröffnen. Noch dazu, da es dieses Mal eine Fotoausstellung ist. Wir sehen hier Fotos von Agnes Schulz, Fotografin aus Schönebeck. Genauer: aus Frohse, denn darauf legen die Frohser Wert. Aber die örtlichen Befindlichkeiten der nach Schönebeck eingemeindeten Ortsteile sollen hier gar nicht weiter interessieren. Viel wichtiger ist, dass Frohse einen Schrottplatz hat. Auf diesen geht die Fotografin schon seit 2002 regelmäßig. „Inzwischen bin ich die älteste dort“, sagte sie mir. 

Die Arbeiter dort kennen sie,
wenn sie mit ihrer roten Jacke ihre Runde dreht, warten auch mal mit dem Gabelstapler, bis sie ihr Foto beendet hat. Was sie über die Frau mit dem Fotoapparat denken, ich weiß es nicht. Der Leiter des Schrottplatzes bekommt jedenfalls ab und zu ein Foto von ihr. Vielleicht hängen die Fotos im Büro, vielleicht auch in den Umkleideräumen, statt der üblichen Kalender. Kunst am Arbeitsplatz, es wäre keine schlechte Verwendung der Fotos. Und, wer weiß, vielleicht schaut der eine oder andere der Arbeiter einen kleinen Moment mit einem anderen Blick auf das Altmetall, bevor er – ihre Zeit ist knapp – mit dem Stapler oder Bagger hingreift und die Szenerie verändert. 

Für Agnes Schulz ist die Zeit nicht knapp.
Ihre Bilder brauchen Zeit. Sie schneidet ihre Fotos selten oder nur sparsam zurecht. Was bedeutet, die Fotos mit den Schrottmotiven, die sie hier an den Wänden sehen, sind bereits 1:1 so fotografiert. Die Entscheidung über das Große Ganze oder das winzige Detail ist bereits vor dem Druck auf den Auslöser gefallen. Das benötigt einen aufmerksamen Blick. 

Schrott ist ein Zufallsprodukt.
Was auf dem Schrottplatz landet, kommt überwiegend von Unternehmen der Umgebung, ist Bauabfall oder Reststoff der Industrieproduktion. Was angeliefert wird, wird abgekippt, sortiert, neu zusammengestellt, um dann auf Lkw oder Schiffen abtransportiert zu werden. Was Agnes Schulz davon bei ihren Spaziergängen über den Platz zu sehen bekommt, ist Zufall. Was sie auch tatsächlich sieht, dann schon wieder weniger. Denn der Blick der Fotografin sieht in all dem zufällig daliegenden bereits Bilder, sieht Strukturen und Farben. Blankes Aluminium liegt neben rostbraunem Eisen. Spitzen und scharfe Kanten neben graden Flächen. Aus all dem schafft sie Kunst. Gestanzte Bleche oder aufgerollte Kabel bringen bereits eigene Strukturen mit, die sie aufgreift, ebenso werden Spiegelungen in Pfützen oder Wasserlachen der Container Teil des Bildes. 

Assoziationen.
Ihre Fotos lässt Agnes Schulz ohne Titel. Sie tut das bewusst, denn bereits ein Titel gibt Denkrichtungen vor. Deshalb möchte auch ich nicht zu viel über die Fotos an sich sagen. Manche der Fotos sind in ihrer Struktur so klar gehalten, dass sie an Fotogramme erinnern. In anderen fühle ich mich an das Spiel von Licht und Schatten in Grafiken von Lyonell Feininger erinnert. Die Interpretation bleibt Aufgabe des Betrachters. 

Ein letzter Gedanke zum Schrott,
und vielleicht haben Sie es bereits bemerkt: ich habe die ganze Zeit die eigentlich naheliegende Bezeichnung „Schrottbilder“ vermieden. Schrott ist Abfall, Ausschuss, Reststoff. Sind dann Schrottbilder auch Abfallbilder, Ausschussbilder? Sprachästheten bekommen da Magenschmerzen. Nein, ich weiß nicht, ob dieses Wort angemessen ist. Fragen Sie Agnes Schulz danach. 

Doppelbelichtungen.
Die älteren Fotografen kennen es vielleicht noch, dass man vergaß, vor dem nächsten Foto den Film weiter zu spulen. Neuere Kameras verbanden den Verschluss mit dem Filmtransport, das Problem war umgangen. Agnes Schulz kommt in einigen Fotos auf die Doppelbelichtung zurück, durchbricht das Prinzip „direkt aus der Kamera“. Bei diesen hat die Fotografin, die lange Zeit nur analog fotografierte, durch nachträgliche Bearbeitung Fotos einander überlagert, eine Art digitaler Doppelbelichtung. Dies aber so sparsam, dass es nicht mal auffällt, hätte die Fotografin mich nicht darauf hingewiesen.

Zuletzt nochmal zurück zum Zufall.
Sie sehen dort hinten eine Grafik auf grob strukturiertem Papier. Eine Arbeit mit schwarzem und farbigem Fineliner. Auch dies ein Zufallswerk, die Linien durch die zufälligen Faltkanten zerknüllten Papiers vorgegeben. Aber ist nicht das ganze Leben eine Aneinanderreihung von Zufällen? 

Ob sie heute zufällig hierher kamen oder einer persönlichen Einladung folgten – ich wünsche Ihnen Freude beim Betrachten der Fotos und der Ausstellung viele interessierte Besucher. 

Galeristin Susanne Kalisch im Gespräch

Fotos 2, 4 und 6 bis 10: Frank Pudel


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