Der Film, den Wawerzinek gemeinsam mit Steffen Sebastian drehte, orientiert sich an dem, was Wawerzinek bereits 2010 in seinem Roman "Rabenliebe" beschrieb. Er ist aber kein Film zum Buch, sondern eine filmische Interpretation und zugleich eine Spurensuche, ein Blick auf die Orte der Kindheit ebenso der Versuch einer Beschreibung. Wawerzink spielt darin auch als Kind sich selbst, mit Lederhose und kariertem Hemd steht er da und sinnt seiner Kindheit nach. Wenn die Personen des autobiografischen Films nicht vor der Kamera stehen wollen oder können, dann werden sie verfremdet gespielt. Die Mutter Wawerzineks, nach der er sein halbes Leben lang suchte, wird durch einen Mann in Frauenkleidern dargestellt, mit dem Fluchtkoffer in der Hand und keine Ruhe findend.
Der Film beginnt im Gespensterwald von Ostseebad Niendorf, nahe Wawerzineks Heimatstadt Rostock. Wawerzinek steht als Kind an den gespenstisch kahlen Stämmen, schaut an ihnen hinauf, die Vögel suchend. "Mein ist der Gespensterwald im Ostseebad Nienhagen. Mein sind die
Bäume, mein sind die Vöglein im Geäst. Spürvögel sind sie. Von mir
ausgeschickt nach der Mutter, nach dem Vater zu suchen." sagt er im Film. Später wird er, der immer auf der Suche nach Heimat war, sich im Wald ein Haus aus Ästen und Zweigen bauen – um dann festzustellen "Ein Haus ohne Eltern ist kein Elternhaus".
Dass der Film keine trostlose Geschichte über Trennung, Kinderheim und Adaption sein will, zeigt sich schon am Anfang, als Wawerzinek für seine Kinderheim-Betreuerin Erika Bahnhardt ("Bahni") in seinem Gespensterwald ein Picknick anrichtet, die alte Frau liebevoll begrüßt, die sich noch gut an die Zeit vor 40 Jahren und an das Kind Peter Runkel (so sein damaliger Name) erinnert, mit wachen Augen und warmer Stimme über die Zeit im Kinderheim berichtet, alte Zeichnungen Wawerzineks durchblättert.
Der Film ist zugleich auch Spurensuche. Leser von Wawerzineks "Rabenliebe" kennen seine Geschichte und Kenner von Wawerzineks Werk wissen auch, dass sie für ihn gut ausgegangen ist, so gut es bei einer solchen Kindheit eben sein kann. Viel berührender ist dann wohl die Suche nach den Spuren seiner Schwester, die mit zwei Jahren als "für ihr Alter rückständig" eingestuft wurde und die nächsten 15 Jahre in einer psychatrischen Klinik zubringen musste, nur auf Grund einer verbrecherischen Fehldiagnose eines Oberarztes. "Eine Komission brauchen wir dafür nicht", wurden damals die Zweifel von Konderheimerzieherin Erika Bahnhardt zurückgewiesen. Die Räume des alten Krankenhauses Stralsund-West, acht Betten und acht Nachttische in einem Raum, keine Privatsphäre, Fenster zu schmal um daraus zu fliehen, sind so viel trostloser als das Haus Sonnenschein des Bruders. "Spielzeug hatten wir nicht", sagte Beate im Film. "Geschlagen wurden wir auch, mit dem Handfeger, mit allem was da war". Und nach einem Besuch im Jungs-Trakt gab es als Strafe sechs Wochen Zwangs-Bettruhe, mit Netz über dem Bett. Nach der Psychatrie folgten 40 Jahre Hilfsarbeit in der Wäscherei. Es ist wohl auch ein Verdienst des Films, seiner Schwester, die er lange Zeit nicht hatte, ein Stück ihres Lebens zurück gegeben zu haben.
Der Film endet wo er begann: im Gespensterwald, in dem Bob Ruthard auf seinem Stahl-Cello düstere Klänge spielt und Peter auf das Meer blickt, über das er früher fliehen und seine Mutter suchen wollte.
Beim NDR und in der Volksstimme gibt es Artikel über Aufführungen des Films, der bisher noch keinen Verleih hat. In Schwerin wurde er im Rahmen eines Filmfestival gezeigt, danach (leider nur für zwei Aufführungen) in Magdeburg, wo Peter Wawerzinek 2015 Stadtschreiber war. Wawerzinek lernte ich schon vor etwa 15 Jahren Jahr im Radio kennen, als er einige Jahre lang auf ORB Fritz in der Vorweihnachtssendung von Jürgen Kuttners Blue Moon Stehgreif-Gedichte für die Hörer dichtete. Im April 2012 konnte ich ihn erstmals bei einer Lesung im Magdeburger Moritzhof hören.
Hier ist der Tra iler zu Liev alleen:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen