Freitag, 4. März 2022

Eroica mit Schweigeminute

Der beeindruckendste Moment im heutigen Konzert der Kammerphilharmonie Schönebeck war, als Chefdirigent Jan Michael Horstmann vor dem zweiten Satz länger als gewohnt innehielt und gesenkten Hauptes an seinem Pult stand. Die Pause wurde zur Schweigeminute für die ukrainischen Opfer des Krieges und die Flüchtlinge. Und der langsame zweite Satz zum Trauermarsch.

Die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie
Schönebeck spielt im Zeichen des Friedens.
(Foto: Renate Bojanowski)

"Es gibt Situation in dieser Welt, da fragt man sich 'kann man in dieser Zeit noch Musik machen? Darf Musik politisch sein'" sagte zu Beginn des Konzertes Jan Michael Horstmann, Chefdirigent der Mitteldeutsche Kammerphilharmonie Schönebeck, dem Publikum. "Und die Antwort ist 'ja'", erklärte er, "denn Krieg ist Barbarei, Musik ist Zeichen für Humanität". Er fügte hinzu: "Wir widmen das Konzert, insbesondere den ruhigen zweiten Satz von Beethovens Eroica, den Opfern des Krieges". 
 
Am Beginn des Konzerte stand aber erst einmal wieder eine Uraufführung. Diesmal von Benjamin Schweitzer (1973) und auch wieder eine Komposition, die den Salzlandkreis zum Thema nahm. Passend für ein Auftragswerk des Salzländer Orchesters. In seiner Komposition "Xenolith" legte Schweitzer die Sage der Sieben Steine zu Preußlitz zugrunde. Ein von der Kirche verstoßener Mönch wollte den Gottesdienst stören und forderte die Gottesdienstbesucher zum Tanz auf. Drei Männer und drei Frauen ließen sich verführen. Die Gottesstrafe folgte auf dem Fuße: alle sieben wurden in Stein verwandelt. Inzwischen fehlt einer der Steine. Xenolith könnte man als "fremder Stein" übersetzen – als Stein, der von woanders kommt, oder auch als der fehlende Stein, der nun irgendwo in der Fremde ist. 
 
In der Konzerteinführung sprach Jan Michael Horstmann mit Benjamin Schweitzer über das Stück. Interessante Details zur Komposition (es ist immer zu empfehlen, rechtzeitig zu kommen, um die Konzerteinführung mitzunehmen). Eines allerdings verwirrt später dann doch einigermaßen.für Verwirrung: die Reihenfolge der sieben Sätze ist vom Orchester frei wählbar, so dass beim Hören nicht so recht nachvollziehbar war, welcher der Sätze gerade erklang. 
 
Das Stück stellte mit der Fülle der Klänge hohe Anforderungen an das Schönebecker Orchester. Da war vieles, das nicht sofort als Melodie und Rhythmus ins Ohr geht. Gleich der kräftige Beginn war voller Dissonanzen, beinahe schon schmerzhaft. Abgelöst wurden sie vohn ruhigen Stellen, an denen die Blasinstrumente tonlos, nur mit Windgeräuschen gespielt wurden. Geräusche und Klangeffekte waren, wenn man sich darauf einließ, dann aber doch faszinierend. Die Instrumente fiepen, klingen und klappern. Glissandi der Streicher erzeugen bedrohliche Stimmungen. Eine musikalische Vorhölle erinnert an die Glut, in der die Steine einst entstanden. Leises Rieseln von Kieseln ist ein Zeichen für die Bewegung der Steine, die sie bis zu uns führte: man muss die Assoziationen im Kopf zulassen. 
 
Es folgte etwas gern gespieltes: das Trompetenkonzert Es-Dur von Johann Nepomuk Hummel (1778 – 1837), mit Balint Kreuzinger als  Solist. Vertraute Klänge, die irgendwie nach Mozart klangen (vor allem der Beginn und die Art der Melodieführung). Der lebhafte dritte Satz gehört zu den bekannteren Melodien des Abends.

Apropos bekannt: Die fünfte und die neunte Sinfonie von Beethoven (1770 – 1827) sind ganz gewiss die bekanntesten, fast jeder kennt die Hauptmotive. Die Melodien der dritten kennen sicher nicht so viele – die Geschichte zur dritten Sinfonie dürfte weit bekannter sein. Beethoven widmete sie hoffnungsvoll dem aufstrebenden Politiker Napoleon Bonaparte. Doch als dieser sich zum Kaiser ausrief, radierte Beethoven diese Widmung wütend wieder aus den Noten heraus. "Nun wird er auch die Menschenrechte mit Füßen treten", soll er gerufen haben, "er wird sich nun höher als alle stellen, ein Tyrann werden". 

Nach dem triumphalen und lauten ersten Satz von Beethovens 3. Sinfonie stand Horstmann gesenkten Hauptes an seinem Pult. Diese läner als gewohnt dauernde Pause vor dem zweiten Satz wurde so zur Schweigeminute, die nach der zuvor sehr kräftigen Musik um so stärker wirkte und den über weite Strecken leisen zweiten Satz als Trauermarsch erscheinen ließ, ergreifend und düster. An den leisen Stellen lässt Horstmann sein Orchester pianissimo spielen, fast unhörbar leise. Welche Erleichterung, welche Hoffnung dann der dritte Satz. Dieser klingt nach der vorangegangenen Düsternis freudig, Landleben und Jagdhornsignale beleben die Musik.
 
Eine ukrainische Flagge mit Friedenstaube war deutliches Zeichen für die Forderung nach Frieden. In der Pause stand ein großes Spaarschwein für Spenden bereit, zu denen Horstmann vor der Pause aufgerufen hatte (auf das Spendenkonto kann selbstverständlich auch jetzt noch eingezahlt werden).
 

 

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