Mittwoch, 9. Oktober 2019

Peter Wawerzinek: Liebestölpel

Peter Wawerzinek las heute im Forum Gestaltung Magdeburg aus seinem Buch "Liebestölpel". Die Lesung wurde vom Literaturhaus Magdeburg veranstaltet. Dessen Leiterin, Ute Berger, sprach am Beginn des Abends mit Peter Wawerzinek, der im Jahr 2015 Magdeburger Stadtschreiber war, über seine Arbeit und seine Zeit in Magdeburg.


Noch vor den Gesprächen über das aktuelle Buch war Peter Wawerzinek das Gedenken an das schreckliche Attentat in Halle wichtig, wo gerade einen Tag vor der Lesung ein Neonazi die Hallenser Synagoge überfallen wollte und in den Straßen nebenan zwei Menschen hinterhältig und brutal ermordete. "Als ich auf der Fahrt nach Magdeburg davon hörte", sagte Wawerzinek, "ging mir das auch deshalb besonders nahe, weil ich diese Gegend aus der Kindheit kannte. Im Sommer wurden Kinder aus Halle zur Erholung an die Ostsee geschickt und wenn sich diese blassen Kinder am Strand erholten, fuhren wir nach Halle". Daher hat Wawerzinek Ortskenntnis und stellte fest "ich kenne diese Gegend noch wie heute, das besetzte Haus kenne ich, bei Bäcker Kalb haben wir Kuchen geholt, auch auf dem Friedhof der Synagoge bin ich gewesen".

Zurück zum Buch. "Nach der Rabenliebe und dem Schluckspecht, da sollte auch wieder ein Vogel dem Buch den Titel geben?", fragte Ute Berger. Peter Wawerzinek sinnierte über die Tölpel, die auf Helgoland ihre Nester auf schmale Felsvorsprünge bauen, von denen aus sich die Jungen ins kalte Wasser stürzen müssen. "Es schaffen nicht alle, aber die die es schaffen, aus denen wird auch was. Das wäre ja schon mal ein schönes Bild". Und was wirst Du heute daraus lesen? Wawerzinek zitiert Frank McCourt (Anm.: Autor von Die Asche meiner Mutter): "Wenn man richtig erzählen will, dann muss man zurück in seine Jugend".

Und so fängt Peter Wawerzinek mit dem Anfang an, mit den kurzen schwarzen Zöpfen seiner Jugendfreundin Lucretia, mit der er seit frühesten Kindertagen vertraut ist. (später, im Gespräch nach der Lesung, wird Wawerzinek einige Aufklärung zu den immer wieder zu autobiografisch geprägten Texten gestellten Fragen nach dem Gehalt an eigenem Leben des Autors geben, der auch hier nicht bei 100 Prozent liegt). Er liest Geschichten von erster, noch kindlicher Verliebtheit, Geschichten vom Leben im Kinderheim an der Ostsee. Das Motiv von Brüderlein und Schwesterlein, die ganz allein im Wald unterwegs sind, mag dafür stehen. Über die elternlosen Kinder sagt er "Verlorene sind wir von Anfang an" und berichtet dennoch von der Geborgenheit im Heim. "Bei einer Lesung aus 'Rabenliebe' traf ich ehemalige Klassenkameraden, die mir sagten, 'dass Du ein Heimkind warst haben wir gar nicht richtig gewusst'. So etwas war damals gar nicht Thema, war etwas selbstverständliches, über das nicht gesprochen werden musste."

Wawerzinek liest mit einer sehr lebendigen Sprache, er liest nicht einfach so, sondern singt beinahe, wenn die Protagonisten Abzählverse rufen, eins zwei drei vier Eckstein/ alles muss versteckt sein. Und wenn er von der Ostsee berichtet, von den Ausflügen an den Strand, dann klingen die Geschichten so, wie man sie aus der eigenen Kindheit kennt, die Freude daran, am salzigen Wasser der Ostsee zu sein, den heißen Sand zu spüren.

Im Buch ist es sein Adoptivvater, den er des Alters wegen "seinen Opa" nennt, von dem Wawerzinek seine poetische Sprache zu haben scheint. "Für jedes Ding hatte er eine eigene Bezeichnung gefunden, die für ihn viel besser passt als die vorhandenen. Eine strittmattersche Sprachvielfalt tut sich auf, wenn Wawerzinek den Opa reden lässt. Auch dieser Opa, so sagt Wawerzinek später, ist in Wahrheit eine andere Person, ist der alte Hausmeister des Heimes Herbert Schuckardt. "Der hatte aber wirklich eine ganz eigene Sprache, das war wie eine richtige Welt für mich", sagte Wawerzinek. "Zugleich war er aber auch jemand, der auch mal hinter Frauen hinterherlief und sie mit Wasser bespritzte. Jemand, über den man heute 'den müsste man einsperren' sagen würde." Über seine Heimerzieherin Bahni sagt er "sie war eine faszinierende Frau. Damals in meinem Film war sie eine der letzten Zeitzeuginnen. Sie war eine, die als sie eine Ausbildung mach sollte, ganz einfach sagte 'Wir haben so viele Flüchtlingskinder hier, es ist viel wichtiger, dass die versorgt werden'. Das war ihr wichtiger als für die Zeit der Ausbildung zu fehlen."

Wawerzineks Lesung war so lebendig und interessant gesprochen, dass ich mir im Anschluss überlegte, ob ich nicht zusätzlich zum Buch auch die vom Autor selbst eingelesene CD hätte kaufen sollen. Vielleicht mache ich das auch noch, aber auch so werde ich beim Lesen des Buches einige Teile der Lesung in Erinnerung haben.

Nach dem Text folgen hier eine Reihe von Fotos. Eigentlich viel zu viele. Nicht etwa, weil ich es nicht schaffte, aus den zwanzig Fotos mich auf drei oder vier zu beschränken, sondern weil man sie nach dem Anklicken wie ein Daumenkino durchblättern kann und einen kleinen Eindruck von  Wawerzineks Vortragsweise bekommt. :-) In der mobilen Ansicht geht das leider nicht.


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